MOTORPSYCHO (20.10.2017, Markthalle, Hamburg)

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R. und ich waren fast mehr als Freunde. Wie ich ihn kenne, wird er es nicht sonderlich mögen, wenn ich das sage, aber im Rückblick kommt es mir vor, als wären wir eine Zeit lang ineinander verliebt gewesen, zumindest ich in ihn. Und in mich selber und in uns. Wir ließen uns Motorpsycho-Tattoos stechen, ziemliche Frikadellen, ehrlich gesagt, meins auf jeden Fall. Es war die 2. Hälfte der 90er und Tätowierungen so salonfähig, daß sogar die Rendsburger Nordmarkhalle Austragungsort einer Tattoo-Convention sein konnte. Stargast war Ron Ackers, ein (wie mir von einem einheimischen Halbweltler versichert wurde) legendärer Tätowierer aus Großbritannien, aber Ron Ackers hatte, als er sich, umringt von Fans, an meinem Oberarm zu schaffen machte, seine besten Tage vielleicht auch schon hinter sich. Jedenfalls sah das von ihm verzogen und schief in meine Haut getackerte Motorpsycho-Logo eher aus, als hätte ich es mir von Hein Eggers betrunken für lau machen lassen.

Wir verbrachten Nachmittage, Abend und Nächte in meinem vollgerauchten WG-Zimmer, dachten uns Sachen aus und nahmen sie auf Vierspur auf. Größtenteils epigonales, larmoyantes aber in der Unmittelbarkeit seines Entstehungsprozesses und weil wir es so innig liebten, irgendwie auch sehr authentisches Zeug. Tortoise und Motorpsycho waren zwei unserer Haupteinflüsse. Tortoise bekamen wir natürlich nicht hin, Motorpsycho hingegen schon – wenigstens für unser Empfinden und auch, weil die „Timothy’s Monster“ [1994] nicht nur für ein auf einem norwegischen Major veröffentlichtes Dreifachalbum ganz schön lo-fi klang. Zwischen den Takes pflegten wir uns gegenseitig die Tattoos.

Das waren gute Zeiten. Wenn ich heutzutage an sie denke, kann ich das besser sehen und würdigen als, mal sagen, in den frühen 2000ern. Ist Aussöhnung mit der eigenen Vergangenheit nur eine vermeintlich zielgerichtetere Form der Sentimentalität? 2002 ließ ich mir meine Motorpsycho-Frikadelle cover-uppen. Und auch wenn das hauptsächlich geschah, weil ich statt der mit heißer Nadel gestrickten Jugendsünde endlich eine richtige Tätowierung haben wollte, versiegelte ich an diesem Tag auch meine Motorpsycho-Affäre mit R. Man kann ihre Umrisse immer noch erfühlen unter dem riesigen Alien-Schädel, der da seitdem prangt. Das dazugehörige Album hieß „It’s A Love Cult“ und war ein Indiepop-Schmuckstück mit starken Sixties-Einflüssen, außerdem das Letzte mit Hakon Gebhardt, der 15 Jahre lang bei Motorpsycho Schlagzeug gespielt hatte.

Irgendwann um diese Zeit (eher vielleicht schon um die mir zu hippieske „Phanerothyme“ [2001] herum) begann meine Begeisterung rissig zu werden. 4-5 Jahre zuvor, als Motorpsycho den Soundtrack zu R.s und meinem Leben zu spielen schienen, paßten sie für eine Weile gut in die Landschaft: Spätestens mit „Blissard“ [1996] hatten sie einen musikalischen Schwerpunkt auf unterschwellig immer einen Tacken zu virtuos gespielten Indie-/Alternativrock gesetzt; als könnten die Progrocker in ihnen nur mit Mühe an sich halten. Dazu Texte, in denen eigene Befindlichkeiten zu Weltlagen hochgefühlt wurden. Das war unser Ding.

Weil ich immer was vorhatte, wenn Motorpsycho im Segeberger „Lindenhof“ auftraten und weil sie Jahr für Jahr an Hamburg vorbeifuhren, mußten wir jedes Mal in den „Schlachthof“ fahren, nach Bremen, wo R. heute wohnt. Ich weiß noch, wie sie auf einem dieser Konzerte mit „Wearin´ Yr Smell“ loslegten (und diese Schreibweise war nicht Motorpsychos einziger Sonic-Youth-Verweis damals) und ich für einen Moment dachte, der besten Live-Band der Welt zuzuhören. Leider verloren die Auftritte für mich nach jeweils sehr knackigen Auftakten immer ein wenig an Stringenz, denn irgendwann kamen die überlangen Jams: „Un Chien D’Espace“ (das sie 2 Tage nach dem Konzert, über das zu berichten ich hoffentlich noch schaffe, nachdem ich mir den ganzen Autobio-Grind von der Hirnrinde gekratzt habe, auf eine Dreiviertelstunde dehnten) oder „Demon Box“, Titelstück des gleichnamigen Brockens aus dem Jahr 1993, auf dem sie in frühwerktypischer Ungestümness schonmal einen Ausblick auf einige Stile gaben, denen sie sich im Laufe der noch vor ihnen liegenden Karriere widmen würden.

Der zweite Fokus lag auf schwerem 70s-Hardrock, je nach Song mal eher hypnotisch, ein andermal eher dynamisch und komplex. In diese Richtung sollten sie sich ab den Zweitausendnullern immer mehr entwickeln; ein Prozeß, der von „Black Hole/Blank Canvas“ [2006] unterbrochen wurde, einem Doppelalbum (mal wieder), auf dem Bassist und Hauptsänger Bent Saether in Ermangelung eines regulären Drummers selbst trommelte und den an die von uns so verehrten Indie-Motorpsycho erinnernden Songs einen punkigen Drive mitgab.

Das Verhältnis „Treue Fan-Seele“ vs. „Analfixierter Komplettist“ verschob sich mit jeder weiteren Platte weiter Richtung Letzteres. Demzufolge trug ich sie alle brav nach Hause, die ganze Kenneth-Kapstad-Phase. „The Death Defying Unicorn“ [2012], ein Konzeptalbum mit mehr Musik drin als in der gesamten Diskographie Geringerer, höre ich mir zum 1. Mal bewußt und in voller Länge an, während ich diesen ganzen Stuß schreibe. Schockt.

Nichtsdestotrotz bewegte mich im vorletzten Mai der Ausstieg Kapstads nach fast 10 Jahren. Auch wenn sich sein Stil und die immer abgehobeneren Daddel-Epen prima ergänzten, vielleicht gar bedingten. Und an mir weitgehend vorbeigingen. Bei Motorpsycho zu trommeln, das war ja immer ein bißchen mehr als sich eine Latte Stücke draufzuschaffen und abspulen zu können. Statt dessen galt es, gemeinsam eine gewachsene musikalisch-menschliche Chemie zu kultivieren, die Improvisation ermöglicht, Abdriften, ohne den Faden zu verlieren, sich blind zu verstehen und all dies auf einem Niveau, das in diesem speziellen Fall eher an Jazz-Musiker denn an Rock-Simpel denken läßt. Saether und Gitarrist Hans Magnus Ryan taten mir Leid: Jetzt mußten sie ein zweites Mal von vorn anfangen.

Aber bereits zur Jahreswende ´16/´17 gab es einen neuen Schlagzeuger (Tomas Järmyr), und in der Zwischenzeit hatten die beiden Kernmitglieder mit „Begynnelser“ sogar noch eine m.E. sehr hörenswerte Theatermusik gemacht. Das aktuelle Album „The Tower“, das Erste mit neuem Line-Up, lockte mich dann wieder nicht recht hinterm Ofen hervor. Zu lang, zu groß, zu viel. Aber nachdem ich sie vor 9 Jahren in Roskilde das letzte Mal live gesehen und mich überschwemmt gefühlt hatte von einem komplett durchgespielten neuen Album („Little Lucid Moments“), dachte ich, ich geh´ mal wieder hin. Außerdem habe ich mittlerweile einen Sohn, der Bent heißt. Ich würde nicht direkt sagen, daß ich ihn nach Bent Saether benannt habe, aber er würde nicht so heißen, wenn es Bent Saether nicht gäbe.

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22810178 1316896695083168 819563106 o(Fotos: Henrik Drüner)

Sprung in die Gegenwart, Merch-Stand: Sogar die auf 2000 limitierte „Konsert For Folk Flest“ aus dem vorletzten Jahr kann man hier noch erstehen; Dokument der einmaligen Aufführung eines Stücks für Orgel, Rockband, Chor und Streicher mit nationalem Bezug zum Olavsfestdagene, einem der bedeutendsten Musik- und Kulturfestivals Norwegens, das alljährlich in Trondheim, der Heimatstadt der Band, veranstaltet wird. Daß sie bei solchen Veranstaltungen Staatstragendes präsentieren, macht deutlich, was für eine Institution sie in Norwegen sind. Keine Band, die jemals unter Hipness-Verdacht geraten kann. Ich kaufe mir die Tour-EP (gelbe Doppelsingle im Gatefold, sehr hübsch) und „Supersonic Scientists“, das Buch zur gleichnamigen Best-Of [2015]. Angesichts ihres schwindelerregenden und stündlich wachsenden Back-Katalogs fand ich die Idee, ein Best-Of mit dem Untertitel „A Young Person’s Guide To Motorpsycho“ zu veröffentlichen, immer sowas wie Scheitern mit Ansage.

Mit „Stained Glass“, einem der weniger offensichtlichen Stücke der „Let Them Eat Cake“ [2000] fangen sie an. Muß man auch erstmal bringen. Ein Song wie ein langsam um sich selbst kreisender Schwebezustand. Kristoffer Lo ihm sein Euphonium tönt genau wie auf Platte, wenn es mittels einer andächtigen Melodie nach jeder Bridge in die Strophen zurückführt. Im weiteren Verlauf legt er Effekte auf das Instrument resp. das zuständige Mikrophon, so daß es wie ein singender Wirbelwind klingt. Später wird er mal Gitarre, mal Keybords spielen und sich jederzeit als kongeniale Line-up-Aufstocke profilieren. Guter Mann!

22831434 1316896421749862 68557974 o(Foto: Henrik Drüner)

Ich hole mein Handy raus und simse R., wo ich bin. Daraus wird dann ein minutiöser Live-Ticker, nur daß ich ihm in den meisten Fällen nicht mitteilen kann, was gerade läuft, denn sie spielen nahezu die gesamte „The Tower“ , und die habe ich auf der Hinfahrt erst das 3. Mal gehört. Das fuchst mich, aber nun isses so. Eindeutig zuordnen kann ich nur das relativ weit hinten im Set gelegene Titelstück mit seinen geilen Kick-/Baß-Triolen in den Strophen. Saether singt mühelos über jeden Lauf, den er spielt, und sei er noch so vertrackt. Und natürlich die erste Zugabe, „ASFE“, dessen Titel R. mir simst, wofür ihm meine Beschreibung „Dieses Einakkordige“ reicht. There’s a song for everone and a singer for every song. Perfekte Mitgröhl-Zeile.

Zwischen den Simsen schüttele ich mein Haar und bänge. Man kann nicht stillstehen bei dieser Power. Noch ein Neues, dann „No Evil“ mit Ryans insistierendem Arpeggio-Riff und gleich danach „Hey Jane“, ein erster Hit, die Single vom „Trust Us“-Album [1998], deren Whoohoo-Chöre im letzten Ref mich immer an „Black Diamond“ von Kiss erinnern. Die Leute sind am Kochen, jede/r hier liebt die Menschen auf der Bühne jetzt schon für das, was sie tun, dabei haben wir noch 2 Std. vor uns. Am Ende werden „wir“ das Hallenlicht und die Abspannmusik ausapplaudieren und der Band eine allerletzte Zugabe abringen.

22812836 1316896388416532 1401463719 o(Foto: Henrik Drüner)

Als Bent Saether seinen optisch eh schon stark an eine None-Reverse-Gibson-Firebird angelehnten Baß gegen eine graue Reverse-Firebird-Gitarre (lefthanded, versteht sich) eintauscht und die ersten Akkorde anschlägt, wage ich zu antizipieren, was jetzt kommt und habe Recht: „Heartattack Mac“! Von der 1997er „Angels & Daemons At Play“, die vielleicht mein all-time-favourite ist: Harmonisch ganz dicht bei Sonic Youth. Aber gespielt, als wären es die Melvins oder ein vergleichbares Kaliber. Hans Magnus Ryan brüllt den Text, als wäre es ein gerade erst geschriebener Song. Jetzt haben sie mich endgültig zurück. Wegen solcher Sachen habe ich sie damals vergöttert.

22812619 1316896665083171 1079781668 o(Foto: Henrik Drüner)

5 Gänge runterschalten. Die meisten anderen Bands würden versuchen, auf diesem Erregungslevel gleich nachzuschenken, und das wäre auch völlig legitim, Motorpsycho spielen lieber „Lacuna Sunrise“, eins dieser extrem lushen Hauptstücke der letztjährigen, in zwei Teilen releasten „Here Be Monsters“. Pinkfloydesk. Würde ich mir sonst nicht anhören, aber wenn Motorpsycho sowas machen, ist es was Anderes. Ryan spielt eine doppelhalsige Gibson SG. Ich muß schon wieder an Kiss denken, an Paul Stanley, der so eine Gitarre auf der Studioversion von „King Of The Night Time World“ benutzt haben soll, aber das führt alles nirgendwohin, auch wenn Motorpsycho „Watchin‘ You“ gecovert haben, „Shock Me“ und das transusige „Beth“…wo war ich? „Lacuna Sunrise“, genau, ausschweifende Version, steigert sich mehrfach in einen erhebenden, von sägenden Gitarren gepushten Refrain – zweifellos einer der Höhepunkte dieses Auftritts!

Schließlich „The Wheel“. Altgedienter Fan-Favourite, auch für mich, und in dem Moment, in dem ich es erkenne, wird mir klar, wie lange ich es nicht gehört habe und daß ich mich vielleicht auch dran sattgehört habe und das schon vor Jahren. Neugier und Befremden befallen mich, ein bei Reisen in die eigene Vergangenheit häufig auftretender Gefühlscocktail. Saether hüpft beim Singen tatsächlich ein Frosch in den Hals und er muß (effe-effe) husten, was dank der großzügigen Reverb- und Delay-Kombination auf seiner Stimme gleich einpsychedelisiert wird. Für eine Sekunde schaut er erschrocken über den Mikrokorb hinweg ins Leere, dann springt er wieder auf den mäandernden Synkopenbeat auf. Frisur hält, sozusagen. Keine große Sache.

Nachdem das Stück eine Weile mäandert hat, schwenkt es irgendwann unweigerlich in einen heavy Groove ein, der an einen stampfenden Schiffsdiesel erinnert und augenblicklich hypnotisch wirkt. An dieser Stelle gibt es leichte Abstimmungsprobleme zwischen Tomas Järmur und Bent Saether, der ihn einnickt. Sie beginnen den Schiffsdieselpart mit dem Fuß auf der Bremse. Ich irre mich in meinem Glauben, daß es das gewesen sein soll und dem Gedanken, daß da mehr rauszuholen gewesen wäre. Never understimate a working band! Das Stück ist über die Jahre monströs gewachsen: Sie strecken es auf knappe 20 Minuten, und nach jeder in Hall und Sound verschwurbelnden Gesangspassage Saethers schalten sie einen Heavy-Gang dazu, bis sie am Ende die Kapazitäten ihrer Wand aus Sunn, Hiwatt und Fender (vermutlich) ausreizen und gepflegt die Crowd bügeln. Und die wird ihnen ewig dankbar sein: Frenetischer Jubel, glückliche Gesichter, bebende Gehirne.

„Plan#1“ beendet den ersten Zugabenblock, und dieses Stück kommt sogar aus einer Zeit vor R. und mir; aus einer Zeit kurz nachdem mein damaliger Nachbar T. die Band nach Deutschland holte und mit ihnen ein Konzert in der Rendsburger T-Stube machte. Die „8 Soothing Songs For Ruth“ [1992] hat er mir damals geschenkt, habe ich heute noch. Andere Geschichte.

22850092 1316896368416534 1421487084 o(Foto: Henrik Drüner)

„Feel“ als allerletzte Zugabe, mit dem Drummer am Mellotron – noch einer dieser verpeilten Indie-Schmachtfetzen, die R. und mich damals so inspirierten. Rührend, das mal wieder zu hören. Aber ich weiß nicht, ob es darum geht, das jetzt alles wiederzuentdecken. Wir haben es damals bis zum Abwinken konsumiert. Vielleicht ist es vielmehr an der Zeit, sich Alben wie „Still Life With Eggplant“ [2013], „Heavy Metal Fruit“ [2010], „Behind The Sun“ [2014] oder das in meiner Erinnerung semi-ausgegorene „Child Of The Future“ [2011] mal richtig anzuhören und zu würdigen. Womit ich das Ziel erreicht habe, in diesem Schrieb alle Motorpsycho-Studioalben (außer der Ersten, „Lobotomizer“ [1991], die damit dann auch abgehakt wäre) zu erwähnen. Mann, was haben die für einen Arschvoll Musik auf dem Buckel! Theoretisch hätten sie auch mehrere völlig andere und keineswegs minderwertigere Setlists spielen können. Ich beschließe, ab jetzt einfach immer hinzugehen, wenn Motorpsycho in der Stadt sind und sie zu nehmen, wie sie kommen. Mit Allem, was ich an ihnen toll, interessant, herausfordernd, öde und nervig finde, je nachdem. Aber eine Band, die dich konfrontiert, vielleicht sogar anstrengt, das ist schon immer so viel besser gewesen als einfach nur Erwartungen erfüllt zu bekommen (wobei das natürlich auch ganz schön sein kann).

Motorpsycho - eine Rockgruppe wie ein knorriges, manchmal stures, vielleicht gar momentweise ignorantes Unikum, das du respektierst, schätzt, womöglich gar heimlich bewunderst ob seines Rückgrats und seiner Konsequenz. Eine Band, an der man sich reiben kann wie eine kleine Sau an einem Riesenbaum. Aaaaah.

Kommentare   

+1 #1 Yoy 2017-11-12 10:21
Wow... dankeschön fürs teilen!!
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