ROCK HARD FESTIVAL XV / 04.06.2017 – Gelsenkirchen, Amphitheater, Tag 3

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Das Billing des heutigen Tages muss mensch sich mal auf der Zunge zergehen lassen: OPETH, DIRKSCHNEIDER, FATES WARNING, ROSS THE BOSS, DEMON, SECRETS OF THE MOON, BLOOD CEREMONY und NIGHT DEMON. Da wirft der Lappen Blasen! Nicht ein Stinker dabei. Und das gilt im Grunde für fast das gesamte Festival, einzige Ausnahme sind aus meiner Sicht THE DEAD DAISIES, jenes „All-Star-Kollektiv um John Kohlrabi und ein paar Ex-Beta-Guns+Roses-Arschlöcher“ (Steffen Frahm). Das ist ein verdammt guter Schnitt und so sehen wir auch zu, pünktlich im Amphitheater zu sein. Vor dem Eingang staut sich eine nie dagewesene Schlange, aber Jahrzehnte des Konzertbesuchs haben unsere Vordrängler-Skills geschärft und so stehen wir pünktlich zu NIGHT DEMON vor der Bühne. Welcome to the night:


DIRKSCHNEIDERAmphitheater

Bericht von Stumpfer Fischkopp, Bilder von Michael Strecker und Nico Krogmann



NIGHT DEMON


NIGHT DEMONNIGHT DEMON



Boah, wat Power! NIGHT DEMON rasen geradezu durch ihr Set und hängen gleich mal die ersten sechs Songs ohne Ansagen oder Pausen aneinander. Erst dann gibt es ein „Less talk, more rock!“ und weiter geht’s. „Welcome To The Night“, „Full Speed Ahead“, „Maiden Hell“, „Curse Of The Damned“, “Ritual” und “Chalice” donnern mit verblüffender Präzision in die Arena. Falls dabei jemand stillsitzen oder –stehen kann, sollte er, sie oder es besser den Rock’n’Roll-Doktor aufsuchen. Oder sich von Rocky den Kelch verabreichen lassen, welchen das Maskottchen auch heute wieder zu „The Chalice“ schwenkt. „Screams In The Night“, „On Your Own“, „Night Demon“ und „Black Widow“ decken noch mal das Spektrum des Schaffens der Band ab, denn von Speed-Hämmern über Fistraiser-Hymnen bis hin zu Midtemposchiebern hat das Trio alles in petto. Wie gut klingen die zweistimmigen Gesänge? Wie tight sägen Bass, Schlagzeug und Gitarre bitte? Da gibt es nichts: Jarvis Leatherby, Dusty Squires und Armand John Anthony bilden die beste neue Metalband. Letzterer zieht mit dem MAIDEN-Cover „Wasted Years“ alle Register – mit dieser triumphalen Version hinterlassen NIGHT DEMON ein restlos begeistertes Publikum. Der Andrang zu dieser frühen Spielzeit (Jarvis: „I think we never ever played a show this early!“) ist also mehr als gerechtfertigt. Im Juli in der Alten Meierei in Kiel und auffem HEADBANGERS OPEN AIR!


NIGHT DEMONNIGHT DEMON


BLOOD CEREMONY


BLOOD CEREMONYBLOOD CEREMONY



Von der Dramaturgie her wäre eine Umkehrung der Reihenfolge möglicherweise schlauer gewesen, denn mit dem Occult Rock von BLOOD CEREMONY chillt die Meute runter. Aber die Leute vom RHF haben als erste Band des Tages traditionell gern einen Weckhammer. Mir gefallen die Kanadier*innen, seit ich sie auf der ersten GHOST-Tour im Vorprogramm gesehen habe (unfasslicherweise fand das damals im Marx statt!), die Alben „The Eldritch Dark“ und „Lord Of Misrule“ haben sich zudem nach Heavy-Rotation-Testung als unangreifbar erwiesen. Heute klingt Alia O’Briens Gesang allerdings zunächst etwas ungewohnt nasal bis quäkig. Nun, ich gewöhne mich an diesen Umstand und lasse mich von den Flötentönen hypnotisieren. Hier ergänzen sich Folk und Doom auf faszinierende Weise, vertieft noch durch die Orgel (ebenfalls von O’Brien bedient), welche der Musik eine psychedelische Ebene verpasst. Ein Narrenfest wie nach frühmittelalterlicher Tradition (zumindest in England). Der Band nimmt mensch die Aufforderung zu einer hedonistischen Orgie („Lord Of Misrule“) doch glatt ab. Mitmachen erwünscht. Aber bloß nicht als Veranstalter*in bzw Lord, denn ein solcher wird nach beendeter Feierlichkeit rituell geopfert! Wir lassen BLOOD CEREMONY hingegen gerne ziehen, sollen sie uns doch möglichst in Bälde wieder beglücken.


BLOOD CEREMONYBLOOD CEREMONY


SECRETS OF THE MOON

Eine schöne Tradition des RHF finde ich, ist es, dass alle Bands von einem ROCK-HARD-Schreiberling angesagt werden. Das verleiht der Veranstaltung eine persönliche Note. Und man kann mal sehen, wie die Leute, die man sonst nur von ihrem Schreibstil kennt, auf der Bühne schnacken. Mandy Melon verspricht uns zu SECRETS OF THE MOON eine leidenschaftliche und magische Performance. In der Tat kreiert die Band heftige Soundlandschaften, die an TRIPTYKON erinnern. In Sachen Düsternis und Kompromisslosigkeit sind auf jeden Fall Parallelen festzumachen. Allerdings haben SECRETS OF THE MOON einen Gothic-Touch in ihrer Musik, ähnlich wie TRIBULATION, IN SOLITUDE oder in Ansätzen jüngere WATAIN derartige Einflüsse einsetzen. Oder KETZER mittlerweile, um beim Festivalbilling zu bleiben. Starkes Songwriting, welches tatsächlich engagiert und ironiefrei vorgetragen wird. Insgesamt könnten die Osnabrücker für meinen Geschmack häufiger aus dem Midtempo ausbrechen, aber man muss ihnen attestieren, dass ihr Sound trotz aller angeführten Vergleiche etwas Eigenständiges darstellt und als eine konsequente Fortsetzung ausschließlich hasserfüllten Black Metals angesehen werden kann. Auf morbide Art schön!


DEMON


DEMONDEMON



Ab ins große Finale mit einem Run von vier Killerbands – DEMON, ROSS THE BOSS, FATES WARNING und DIRKSCHNEIDER am Stück, danach OPETH zum Runterfahren. Bei DEMON kann eigentlich gar nichts schiefgehen, außer wenn die Band sich auf ganz neue Songs konzentrierte, welche die meisten noch nicht kennen. Genau diesen Fehler begehen Dave Hill und seine Dämonen natürlich nicht! Stattdessen greift die Legende in ihre pralle Discografie und bringt mit „Night Of The Demon“, „Into The Nightmare“ und „Sign Of A Madman“ gleich am Anfang drei ihrer bekanntesten Songs. Dave Hill ist super bei Stimme und seine Mitstreiter intonieren diese Klassiker mit Inbrunst, auch wenn außer dem Sänger meines Wissens kein weiteres Gründungsmitglied mehr dabei ist. Mit „Standing On The Edge Of The World“ folgt eine kleine Überraschung, denn das Ding spielen sie ja eher selten. Sehr atmosphärisch. Als einziger neuer Song wird das Titelstück der aktuellen Platte „Cemetary Junction“ präsentiert. Das geht gut rein, klingt durch typische DEMON-Trademarks gleich vertraut. „Liar“, „Life On The Wire“ (geil, einer meiner DEMON-Faves!) und „Don’t Break The Circle“ unterstreichen, wie gut es ist, dass die Briten nach ihrer Ruhepause doch weitergemacht haben.


DEMONDEMON


ROSS THE BOSS


ROSS THE BOSSROSS THE BOSS


Hach, ist das spannend! Mit Mike Cotoia hatte ROSS THE BOSS auf dem KIT und wenig später auch auf dem HOA zwei magische Konzerte gezockt, die für viele Besucher*innen unvergesslich bleiben. Bitter wirkte dann die Nachricht, dass Mr. Friedman sich entschlossen hat, mit einem anderen Sänger weiterzumachen, da Cotoia nicht genügend Zeit zum Touren habe. Die ersten Aufnahmen mit Marc Lopes klangen gar nicht gut. Aber was sagt so ‘ne YouTube-Aufnahme schon aus? Das Amphitheater füllt sich zum Bersten, denn early MANOWAR hat hier nun wirklich jede*r im Blut. Und ich will gar nicht um den heißen Brei herumlabern: Der Auftritt wird verdammt unterhaltsam. Marc Lopes ist dann doch zu sympathisch, um ihn scheiße zu finden. Es muss zwar auch gesagt werden, dass er die Klasse von Mike Cotoia zu keinem Zeitpunkt erreicht, denn dieser klang ja wirklich wie der junge Eric Adams. Aber Lopes geht klar! Einige Passagen schreit er eher, bei anderen setzt er eine ganz passable Kopfstimme ein. Was eben fehlt, sind die epischen Gesangsmelodien, die mit mächtiger klarer Stimme gesungen werden müssten. Aber Rhino, Mike LePond und der Boss lassen nichts anbrennen und verwandeln das Stadion auch so in einen singenden Hexenkessel. Ross‘ Aussage im aktuellen Rock Hard „No Bullshit, das ist die Street-Version von MANOWAR“ (Nr. 361) stimmt schon. Die Setlist enthält „Blood Of The Kings“, „Death Tone“, „The Oath“, „Blood Of My Enemies“, “Kill With Power”, “Thor (The Powerhead)”, “Sign Of The Hammer”, “Fighting The World”, “Metal Daze”, “Battle Hymn” sowie “Hail And Kill”. Ich kann mich tatsächlich wiederholt einer Ganzkörpergänsehaut nicht entziehen. Lopes wirkt sehr enthusiastisch und bekennt: “This is the first time I’m playing at a festival. And it is the first time playing in front of so many people!” Nach dieser ehrlich begeistert wirkenden Ansage hebt selbst der misanthropischste Hater die Pommesgabel. VICTORY! VICTORY! DIE! DIE!


ROSS THE BOSSROSS THE BOSS


FATES WARNING


FATES WARNINGFATES WARNING



Bei FATES WARNING war ich ob ihrer Position im Billing etwas skeptisch. Zwischen zwei Bands spielen zu müssen, deren Sets ausschließlich aus Megahits bestehen, kann gerade für eher progressiv ausgerichtete Musik schwierig werden. Ich bin sicher, dass die FW-Musiker selbst daher ihre Erwartungen niedrig gehalten hatten – und umso erstaunter darüber sind, wie gut die Reaktionen dann doch ausfallen! Ray Alder hat schließlich sogar Tränen in den Augen. Das Amphitheater bleibt überraschend voll und sehr viele Besucher*innen sind mit dem Material vertraut. Bei dem superben Sound kommt jede Nuance der Songs zur Wirkung. Die beiden letzten Alben zeigen FATES WARNING in Bestform und so gehören sie zu den wenigen Bands, die nicht nur von ihren Klassikern der 80er zehren müssen. Natürlich läuft die „Awaken The Guardian“-Reunion-Show vom KIT außer Konkurrenz, aber gerade weil man die (und den ARCH/MATHEOS-Gig) jetzt gesehen hat, kann man die Forderungen nach Stücken aus der Arch-Phase eben auch ad acta legen. So geht es mir jedenfalls und ich genieße „From The Rooftops“, „Seven Stars“ und „Firefly“ mit ihren irren Gitarrenabfahrten und wundervollen Gesangsmelodien. Und „Life In Still Water“, „The Eleventh Hour“, „Point Of View“ sowie „Monument“ sind Klassiker in ihrer eigenen Liga. Die Band befindet sich momentan in bester Verfassung, ihr Zusammenspiel ist atemberaubend und es macht einfach nur Spaß, einem Musiker wie Joey Vera zuzusehen. Für ihn wie die gesamte Bild gilt: eine perfekte Balance aus Emotion und Technik!


FATES WARNINGFATES WARNING


DIRKSCHNEIDER


DIRKSCHNEIDERDIRKSCHNEIDER



Abermals wird es so richtig eng in der Arena. Wir begeben uns ganz nach vorne, denn jetzt heißt es: Headbanging und zwar im Restless-and-wild-Modus! Udo Dirkschneider hat sich mit seiner „Back To The Roots“-Tour sein Erbe zurückgekämpft, während ACCEPT in letzter Zeit doch etwas routiniert klingen und den anfänglichen Schwung ihrer Reunion verloren haben. Der olle Haudegen ist herrlich bei Stimme und kreischt alles in Grund und Boden – nicht ohne dabei auf raubeinige Art melodiös zu klingen. Vor der Bühne entwickelt sich schnell ein ausgelassenes Treiben und irgendwann erliege ich tatsächlich der Illusion, in der Zeit zurückgereist zu sein und ein frühes ACCEPT-Konzert zu sehen. Die jungen Musiker in der Band bringen die Klassiker halt glaubhaft und kompetent rüber. Durch die Tatsache, dass Udos Sohn die Drums bearbeitet, hat das Line-Up noch mehr Charme. Der neue, aus Brasilien stammende Gitarrist Bill Hudson hat heute seinen ersten Auftritt mit DIRKSCHNEIDER und bis auf einen verzögerten Einsatz rifft der Typ sich einwandfrei durch die Setlist. Diese beinhaltet natürlich NUR Burner – von „Starlight“ über „London Leatherboys“ oder „Midnight Mover“ bis hin zu „Balls To The Wall“. Da freu ich doch jetzt schon auf den zweiten Teil der Tour, die wohl eine etwas veränderte Songauswahl präsentieren wird. Nach dem Auftritt höre ich mehrere Leute Aussagen wie „ACCEPT waren super!“ tätigen. Mehr muss nicht gesagt werden. Im Grunde hätten DIRKSCHNEIDER das Recht, den Namen zu tragen. Soll sich die andere Band doch PETER UND DER WOLF nennen…


DIRKSCHNEIDERDIRKSCHNEIDER


OPETH


OPETH


Es mag am Sound liegen oder am richtigen Zeitpunkt, fragt mich nicht, warum, aber heute kriegen mich OPETH zum ersten Mal. Bisher fand ich die Band immer etwas zu kühl oder zu verkopft. Jetzt jedoch wird mir deren Musikalität krass bewusst. Die Stücke perlen nur so aus der Anlage und verblüffen mit unerwarteten Wendungen, die aber für mich plötzlich Sinn ergeben. Man kann schon von einer gewissen Schönheit sprechen, welche diese Musik ausmacht. Wie mir ein Insider erzählt, hat Bandkopf Mikael Akerfeldt kürzlich neue Bandmitglieder integriert, welche die Liveintensität seiner Meinung nach tatsächlich noch intensiviert hätten. In der Tat begeistert das cremige Gitarrendoppel genauso wie das Orgel-Inferno, welches die 70ies beeinflussten Stücke gar in DEEP-PURPLE-Nähe rückt. Was ich schon immer mochte, war Akerfeldts Attitüde, die sich in verschrobenen Ansagen niederschlägt. „Do you want to hear an inpromptu-version of NAPALM DEATH’s ‘You Suffer’?” Klar, wer will das nicht? Und wir bekommen gleich zwei Versionen dieses 0:02 währenden Werks nacheinander. „I love this somg. The lyrics are so spot on: ‘You suffer… but why‘! You don’t need to be Bob Dylan”. Ein würdiger Abschluss, den ich wirklich genossen habe.


OPETH



Insgesamt also ein perfektes Festival, an dem ich jetzt keinen Kritikpunkt finden kann. Eins merke ich immer wieder: Eine Bühne reicht!

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