SLIME, DEFEKT DEFEKT / 21.12.2016 – Hamburg, Große Freiheit

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Eigentlich wollte ich an den letzten Tagen vor den Ferien mal früh ins Bett gehen. Bisschen schlafen, mensch soll schließlich ausgeruht und entspannt in die unterrichtsfreie Zeit gehen und so. Aber Jan ML und Doom Fränk ködern mich mit der Aussicht auf ein SLIME-Konzert samt entspannter Zugfahrt. Also verzichte ich auf mein Wellnessprogramm, Punkrock statt Schlaf ist die Devise! Mit erschreckender Professionalität verlangt Jan bereits vor Antritt der Fahrt, dass wir auf dem Hamburger Hauptbahnhof ein Schließfach bräuchten. Wozu dies denn nötig sei, frage ich. Jan: „Ich habe jetzt schon Wegbier für die Rückfahrt gekauft, und die Ordner in der Freiheit schmeißen das ja sonst knallhart in den Müll!“ Ja, das ist sehr… vorausschauend.  


SLIME-Flyer





Pünktlich geht es los mit DEFEKT DEFEKT, einer mir bis jetzt vollständig unbekannten Band. Das Trio bietet UK Punk im Stile der späten Siebziger/frühen Achtziger. Geil gezockt (tighter Drummer!), gut gesungen. Wären dem Sänger nicht ab und zu ein paar deutsche Ansagen über die Lippen gekommen, hätte ich die Jungs auch für Briten gehalten. Wobei das ja auch wumpe ist. Im Kontext mit SLIME hätte ich mir zwar was Fetzigeres oder Passenderes vorstellen können (Fränk hätte gern MÜLHEIM ASOZIAL gesehen), aber DEFEKT DEFEKT gehen auf jeden Fall klar. Auf einem Festival wie dem Wilwarin kämen die mit ihren tanzbaren Beats und netten, aber nicht ZU eingängigen Gesangsmelodien perfekt.


Als SLIME ab 2009 wieder losgelegt haben, gab es ja viele kritische Stimmen und negative Reaktionen, auch hier auf Dremu. Ich war auch skeptisch, fand das erste Konzi, welches ich von der Besetzung gesehen habe (in der Räucherei) dann auch nicht soo prall. Aber mittlerweile haben SLIME sich meinen Respekt erneut erspielt, „Sich fügen heißt lügen“ kann zwar nicht mit den Bandklassikern mithalten, ist aber ein gutes Album. Und die letzten Auftritte waren schlicht überzeugend. Los geht es irritierenderweise zunächst mit einem Klassikintro. Doch es handelt sich nicht um irgendeine Scheiße von sog. Alten Meistern, sondern um eine Orchester-Version von THE RUTS' „Babylon Burning“. Was dat so gibt! Dann legen SLIME wie schon auffem Hafengeburtstag mit „Schweineherbst“ los. Die Gitarren könnten etwas präsenter sein, ansonsten knackt der Sound ganz gut. Dicken Jora ist gut bei Stimme und klingt eher besser als in den Achtzigern. Mit den folgenden Songs scheint sich zunächst anzudeuten, dass die Setlist im Vergleich zum Sommer nicht erneuert worden sei. Denn „Wir geben nicht nach“, „Alle gegen alle“ (spätestens jetzt ist die sehr gut gefüllte Halle auf Betriebstemperatur), „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“ (Dicken widmet den Song der AfD „und ihrer Schwesterpartei, der CSU“, nach dem Stück schmettert die Halle „ganz Hamburg hasst die AfD!“-Chöre), „Alptraum“, „We Don't Need The Army“ und „Störtebeker“ standen damals auch schon ziemlich in dieser Reihenfolge druff. Doch weit gefehlt, SLIME haben heute gleich mehrere Überraschungen parat. Ich dachte schon anlässlich des Backgroundgesangs, dass Elf (g) ja eigentlich eine geil rotzige Stimme habe. Nun kommt er als Leadsänger zum Zuge – Dirk Jora verlässt die Bühne und es gibt mit „Gefangen in der BRD“ vom KFC und „Massenhysterie“ von TARGETS zwei gut ausgewählte und tatsächlich überzeugend gezockte Coverversionen. Dann geht auch Herr Schwers von der Bühne und zwei SLIME-Nummern werden in akustischen Versionen und wieder mit Dirk dargeboten. Und zwar „Zweifel“ und „Zu kalt“. Zwei sehr geile Stücke, die ich zwar auch gern regulär gehört hätte, die aber in dieser Form durchaus auch funktionieren und die Dynamik des Auftritts erhöhen. „Gewalt“, das Mahler gewidmete „Goldene Türme“, „Sich fügen heißt lügen“, „Untergang“ sowie „Brüllen, zertrümmern und weg“ werden wieder mit Drums und Stromgitarren geballert und da der Pogofaktor jetzt deutlich ansteigt (im Vergleich zum Anfang) hat die Akustikeinlage die Spannungskurve gepimpt. Mitten in „Deutschland“ kommt es dann zu einem Zwischenfall, der Dirk Jora zu einer Ansage treibt, welche an den legendären Anfang von der Livescheibe erinnert (remember „Ihr kleiner Scheißhaufen werdet dieses Konzert nich in Arsch machen“?): Ein Ordner hat offenbar einen Crowdsurfer weggeboxt. Dirk unterbricht den Song und zählt den Mann verbal aus. Das Lied wird erneut angestimmt, doch offenbar kommt es wieder zu Handgreiflichkeiten. Nu bricht der Hooligan in Jora durch: Erst knallt er das Mikro auf die Bühne, dass es kracht, dann schnappt er es sich zurück und verspricht dem Verursacher „ein paar auf die Fresse“ zu bekommen. Von zwei Augenzeugen aus der ersten Reihe höre ich später zwei Meinungen - der eine fand Dirk Joras Reaktion überrissen, der andere völlig angemessen und berechtigt. Bleibt die Frage, ob SLIME dann in Läden wie der Freiheit spielen sollten, in der die Ordner nun mal häufig ziemliche Nacken sind. Aber egal, die nun gesteigerten Wut- und Adrenalinwerte passen natürlich hervorragend zum jetzt folgenden „A.C.A.B.“ (auch wie auf der Livescheibe...). Im Schlussteil kommen ausschließlich Überkracher wie „Legal, Illegal, Scheißegal“, „Gewinnen werden immer wir“, „D.I.S.C.O.“, „Linke Spießer“, „Religion“, nochmal „Deutschland“ (wurde ja schließlich abgebrochen) und mit „Hang Yourself From An Appletree“ eine weitere originelle Coverversion einer (oder DER?) ältesten deutschen Punkbands, nämlich BIG BALLS AND THE GREAT WHITE IDIOT sowie “Linke Spießer”. Der Mob ist gut am Toben und mit ‘ner Sankt-Pauli-Hymne sowie dem „1,7 Promille-Blues“ machen SLIME den Sack schließlich dicht.

Jo, das waren ca. 26 Songs und das Konzert hat durchgehend Spaß gemacht. Bei einem SLIME-Auftritt erwartet mensch eigentlich keine großen Überraschungen, aber die hat’s gegeben – Akustik-Songs, Coverversionen, Jora-Eskalation…, ziemlich geil!


Die Rückfahrt gestaltet sich zunächst dramatisch. Wir haben noch 15 Minuten bis zur Abfahrt des nächsten Zuges und der übernächste ist gestrichen worden! Zudem taucht das vierte Mitglied unserer Reisegruppe nicht auf. Ich fahre mit dem Taxi vor, die anderen warten noch und springen schließlich in die nächste U-Bahn. Der Zugführer streckt schon seine Birne aus seinem Kabuff und schimpft wie ein Rohrspatz, weil ich mit dem Fuß die Türen blockiere. Aber da stürzen, poltern und kugeln Doom Fränk und Mr. Lobeck (letzterer mit Verzögerung, das Wegbier) die Treppe herunter und mit lediglich vier Minuten Verspätung rasen wir gen Kiel.

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