WILWARIN 2016, 04.06.2016 – Ellerdorf, am Arsch der Heide, Tag 2

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Steffen: Endlich mal wieder auf'm Wilwarin! Letztes Mal, als ich in der Klapse war, mußten sie 2 gestandene Musiker shanghaien, um mich zu ersetzen. Wir reisen getrennt an, einerseits weil Urlaubszeit is, andererseits, weil wir uns nach 10 Jahren on the road phasenweise nicht mehr ausstehen können; Gäde und ich als Erste, Ausladen, Rumlungern und Beef mit 2 Fungirls haben, die die harten Strahlen ihrer Waterpumpguns gezielt auf den Genitalbereich richten, so daß es aussieht, als ob, haha, genau. Eigentlich ja wirklich ganz gäckig, aber lustige Zwangseingemeindung war noch nie total unser Boogie. Ich muß außerdem sofort an diesen einen Ostzonen-Vorbilddeutschen denken, dessen Bild um die Welt ging, Hitlergruß und Pisseschatten, aber solche Assoziationen werden hier, wie schön, kontextuell im Keim erstickt, stante pede. Stulle rumpelt seinen blauen Logan (KZIMALPP uses & endorses Dacia), den er sich so gerade eben von den Tantiemen der Bullen-Splitsingle abgeknappst hat, erst kurz vor unserem Auftritt über die staubigen Wirtschaftswege im Rektalbereich der Scheunenbühne, auf der in früheren Zeiten bekanntlich das Ellerdorfer Waldfest stieg.


VLADIMIR HARKONNEN

Fotos von Piet Diercks (www.blackwork.de), Michael Strecker, Stefan, Christiane, Sachse, Thomas Ertmer (https://www.facebook.com/th.ertmer).




May-Britt: Der Samstag beginnt für mich relativ früh, da sich mein Zelt (trotz Zeltventilator :-D ) innerhalb von einer Stunde Sonnenschein in eine Sauna verwandelt hat. Also erst mal etwa eine Stunde in der Duschschlange anstehen und ne Runde mit den Mitwartenden schnacken, um sich dann vom Wüstenschmodder zu befreien. Nächstes Jahr könnte es ruhig ein paar mehr Duschen geben. Es gab vor einigen Jahren auch mal eine selbstgebaute Gemeinschaftsdusche (Gartenschlauch), vielleicht wäre das eine Idee für nächstes Jahr liebe Wilwarin-Crew? Wer sich nicht nackig zeigen mag, kann ja in Unterwäsche duschen und für die Dusch-Fanatiker gibts dann eben die Bezahl-Dixi-Duschen...

Philipp: Irgendwie ist es gestern doch sehr spät geworden und plötzlich erscheint es gar nicht so einfach, zwischen Aufstehen und RICH KIDS DRESS UP noch Tätigkeiten wie Frühstücken, Duschen und Haarekämmen zu quetschen. Ich gehe tatsächlich zum ersten Mal auffem Wilwarin duschen, wobei es die Duschen auch erst seit 2015 gibt, glaube ich. Die Schlange davor ist recht lang und scheint sich angesichts von lediglich zwei Duschkabinen in unfassbarerer Langsamkeit zu verringern, zumal ich ungeschützt der sengenden Sonne ausgesetzt bin. Aber umso schöner gestaltet sich der Zeitpunkt, als das kühle Nass in der kreativ zusammengezimmerten Kabine auf mich niederprasselt. Im Hintergrund höre ich Svea bereits soundchecken.


frühFlanieren


Steffen: Zu diesem Zeitpunkt flanieren Jochen und unser Manager Matthias Koch bereits selig untergehakt über die Festwiese, weil sie sich offiziell mit Dave Smalley bekumpelt haben, initiiert durch Gädes strategisch geschickt aus dem Wäschepuff gegrabenes ALL-Leibchen ("Hey man, nice shirt!"). Matze hat Smalley dann erstmal auseinanderklamüsert, was einige seiner Facebook-Freunde für Typen sind und für die Zukunft einen Job als Tourpromoter quasi schonmal angesät. Was ich außerdem lerne an diesem Abend: Vor Jahren habe Dave Smalley (Ex-All, Ex-Dag-Nasty) sich mal auf sehr amerikanische Art ungeil geäußert, "...irgendso'n Redneck-Scheiß...", aber was genau, weiß Matze Koch ausnahmsweise nicht mehr. Er hat Smalley aber erklärt, daß er das nicht gut fand, damals. Ach ja, und Jens Rachut, der heute mit ALTE SAU da ist und nach uns auftreten wird, ham se auch getroffen und sich gegenseitig versichert, daß sie sich kennen.

May-Britt: Nach einem ausgiebigen Katerfrühstück gehts dann auch direkt zum Badesee...da hätte ich mir das Gewarte auch sparen können...nun ja. Wir wurden innerhalb von 2Minuten direkt von einem freundlichen Typen mitm Auto rumgefahren. Der Badesee ist echt zu empfehlen: Schwimmen, Toiletten, Pommes, Eis, Duschen: und das nur etwa 2km vom Festivalgelände entfernt. Vor lauter Eis essen und baden verpasse ich leider RICH KIDS DRESS UP, aber die wird man mit Sicherheit in Zukunft häufiger sehen können.


RICH KIDS DRESS UP


RICH KIDS DRESS UPRICH DRESS DRESS UP


JoyBoy: RICH KIDS DRESS UP sehe ich momentan sehr häufig, ist aber immer sehr gut und auch jedes Mal noch ein klein wenig besser als beim Mal davor. Immer sehr catchy und abwechslungsreich, auch wenn heute nicht jeder Song ganz wie geplant kommt, und Svea teilweise sichtlich Mühe hat, bei dem ungewohnten Tempo hinterherzukommen.

Philipp: Ja, Tim knüppelt ordentlich rein, was Svea immer wieder zu beschwichtigen Gesten treibt. Das stört mich aber weniger als die Tatsache, dass Svea wieder etwas zu leise im Mix ist. Denn gerade ihre Stimme ist der Hammer und müsste meines Erachtens nach richtig deutlich im Vordergrund stehen. Ich stimme JoyBoy ansonsten zu, dass RICH KIDS DRESS UP bis jetzt bei jedem Auftritt eine Steigerung hinbekommen. Heute gibt’s auch die EP mit Studioaufnahmen und gierigem Rendsburger-Hochbrücken-Cover, sodass Songs wie „Seabreeze“, „Awaking The Sun“ oder „Heartshape“ genauer analysiert werden können.

Steffen: Ich habe in der Zwischenzeit einen Teleskopstapler fotografiert (Seit mein Sohn seine Leidenschaft für Nutzfahrzeuge entdeckt hat, bin ich firm mit den Fachtermini), mich mit Zarc Harkonnen aufs Herzlichste über die Freuden des Spagats zwischen den Lebenssegmenten "Semiprofessioneller Freizeit-Musikant" und "Family Man" ausgetauscht, und wir sind eigentlich in Allem einer Meinung. War überfällig. Ich kenn' diesen Haudegen und seinen Bruder Eric Harkonnen, beide unkorrumpierbare Beherrscher ihrer Instrumente, seit 25 Jahren, und es ist immer wieder eine Freude, sie zu sehen. Leider finden unsere Konzerte parallel statt, und aus der theoretisch guten Idee, sich gegenseitig für einen Song auf der Bühne zu besuchen, wird natürlich nichts werden. Noch ahne ich nicht, daß es in gewisser Hinsicht gut laufen soll für mich, heute Abend...

MØRDER


MÖRDERMÖRDER


JoyBoy: Endlich mal MØRDER! Darauf habe ich wirklich lange gewartet, schließlich eilt den beteiligten Musiker*innen in puncto Fähigkeiten ebenso ein guter Ruf voraus, wie in puncto Geschmack. Das muss schon ziemlich geil werden, um meinen Erwartungen einigermaßen gerecht zu werden. Wird es auch. Handwerklich stimmt – wie erwartet – alles und auch das Songmaterial weiß zu überzeugen. Es gibt diese Apocalypsen-Gänsehautmomente, auf die ich bei crustpunkigem Kram immer warte – zwar nicht das ganze Set über, aber irgendwo muss ja noch Luft nach oben gelassen werden. Interessanterweise kommt Annas Unterweltgeschrei im Kontrast mit ihren Ansagen, bei denen sie schlagartig sehr menschlich wirkt, noch krasser rüber.

Philipp: Bei MØRDER sind die Familien von Pete und Christian zugegen, was den Altersdurchschnitt des gesamten Festivalpublikums gleich erheblich senkt. Ob dieses Geballer und Gebrüll angesichts von Minderjährigen im Publikum nicht einer freiwilligen Selbstzensur unterzogen werden sollte? Ach was, schließlich zeigt sich Anna als Hippie: „Wir liem euch auch, Aller!“ Konzerte auf der Skater Stage sind einfach geil – du kannst dein mitgebrachtes Dosenbier trinken, kannst dich auf’n Rasen legen und bei Bedarf problemlos diven. Allerdings fehlt ein Bierpils, mensch will ja nicht ständig wegen Biernachschub Songs verpassen. Dafür können natürlich MØRDER nichts, die wieder mal feist hinlangen. TRAGEDY, DISFEAR und Konsorten lassen aufs Angenehmste grüßen – ich kann sowas ja den ganzen Tach hören.

May-Britt: Zurück aufm Gelände ist die erste Band, die ich mir auf der Skaterstage ansehe, MÖRDER (mit dänischem ö). Richtig schönes crustiges Geballer zum richtig wach werden, teilweise ist es mir etwas zu brutal und disharmonisch, aber so gehört das eben ;-) Auf ihrer Facebookseite schreiben Mörder: MØRDER hassen so ziemlich alles, wenn es kein Bier ist.

Das hört man :-) Von den Texten verstehe ich nicht viel, dafür finde ich die Ansagen von Anna umso interessanter. Zum Beispiel geht es um Vladimir Putins menschenunwürdige Arschloch"politik" oder um Statements frei nach dem Motto "love sex. Hate sexism". Die werde ich mir in Zukunft hoffentlich häufiger ansehen.


Typ


KEINE ZÄHNE IM MAUL, ABER LA PALOMA PFEIFEN &

VLADIMIR HARKONNEN – der erste Gig


KZIMALPPKZIMALPP


Steffen (über den eigenen Auftritt): Während des Aufbauens, mit einer die Peitsche schwingenden und Mickymäuse tragenden Stagehand im Nacken, fällt mir auf, daß ich mein Streßbrett im Ü-Raum gelassen habe. Heiliger Strohsack. Ich überschlage die Setliste im Kopf und prognostiziere, daß es wohl auch so gehen wird. Nachher, beim Konzert, fällt mir auf, daß ich den Quatsch eigentlich kaum benutze; na gut, das Tremolo bei "Gebumst" und zwischendurch ma mit dem Delay HUUUIIIIIIII! machen, aber sonst? Der Feuervogel hält die Stimmung (im Gegensatz zu seinem Besitzer), also doch perspektivisch Kabel-rein-und-ab-die-Geige? Nö, 30% meiner Vorfreude sind über'n Nord-Ostsee-Kanal. Infolge des üblichen Sklaventreiber-Soundchecks verbiestert reißen wir im feedbackenden Krachgarten des beschissensten Bühnensounds aller Zeiten unsere 45 Minuten ab, einzig und allein getragen von der kollektiven Zuneigung einer willigen Meute. Die größte Diskrepanz zwischen "Drinnen" und "Draußen", die mir je widerfuhr. Danke, Leute, IHR habt es zu dem gemacht, was es war. Aber WIR ja irgendwie auch...Watt denn nu? Ich weiß es nicht. Zusammenräumen im Backstage-Wäldchen, ich lasse der nach uns aufspielenden, Zöpfe und Hut tragenden Bluegrass-Combo meine Kneifzange zum Saitenwechseln da. Bei Jochen und Matze flitzen die Merch-Artikel unterm Scanner durch, und Stulle muß GENAU JETZT dienstlich nach Oberhausen, um dort einem seiner Schützlinge beim Geburtstagfeiern zu helfen. Der sitzt morgen mit Papierhut auf dem Kopf auf dem Balkon um eine Torte rum und ist erst Montag wieder da. Surreal. Heftiger Typ.


KZIMALPP


JoyBoy: Nach zwei – drei Songs der bestens aufgelegten VLADIMIR HARKONNEN, die ich heute endlich mal mit ihrem neuen Gitarristen sehen kann, eise ich mich los um ja nichts von KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN zu verpassen. Fiese, für mich wirklich schmerzhafte Überschneidung im Programm, für die ich aber später glücklicherweise entschädigt werden sollte. KZIMALPP habe ich nach langen vergeblichen Mühen in den letzten Jahren endlich halbwegs angemessen zu schätzen gelernt. Das alles überstrahlende „Leb so, dass es alle wissen wollen“, das auch heute den von vielen textsicheren Menschen begleiteten Höhepunkt im Set bildet, war vermutlich nicht nur für mich ein Aha-Erlebnis, was die Band angeht. Seitdem: Die-Hard-Fan! Voll aufgesprungen auf den Hype. Können ja nicht alle so früh schnallen wie Schrammi oder Philipp. Weitere Höhepunkte für mich heute: „Gewissensboogie“ , „Dem Teufel Geld“, „Postsexuell“. Toll.


VLADIMIR HARKONNENVLADIMIR HARKONNEN


May-Britt: Nach einer Verschnaufpause gehts dann wieder zur Skaterstage zu VLADIMIR HARKONNEN. Was für ein Fest! Fieser Sonnenschein, fieser 40Grad warmer Apfelkorn und schon nach den ersten Klängen von den Vladis verwandelt sich alles in einen riesigen staubigen Mob. Ich gebe das Fotografieren auf, weil schon beim zweiten Song Bierdosen und nackte Leute durch die Gegend fliegen und man bei dem Staub eh kein gutes Foto zu Stande bringt. Zur musikalischen Qualität muss man ja gar nicht mehr viel sagen: eine Band, die man sich immer wieder gern ansieht und ordentlich nach vorn brettert. Phillip gibt wieder mal alles und performt+brüllt auch liegend im Staubmob. Auch mein mindestens 40grad warmer Apfelkorn wird von Vladis ohne mit der Wimper zu zucken vernichtet. Respekt. Besonders schön fand ich das Slime-Cover Schweineherbst.


VLADIMIR HARKONNENVLADIMIR HARKONNEN


Philipp: Nun das Schlimmste, was einem Schreiber passieren kann: Textsortenüberschneidung! Konzertbericht trifft auf Tagebucheintrag, auweia. Als ob es nicht schon schwierig genug ist, die chillige Festivallaune wie eine Schlangenhaut abzuwerfen, aus der unerträglichen Leichtig- und Langsamkeit des Seins wieder in das Herumspringen und Geifern eines Hardcoregigs zu finden. Aber es funktioniert. Und es macht Spaß! Wenn die Leute nur nicht so viel Dreck aufwirbeln könnten! Wäre das nicht alles Wüstenplanetdeko zu Ehren des Baron Harkonnen, hätten wir uns bestimmt irgendwo BESCHWERT! Zum Glück erkennen die Menschen vor der Bühne unseren staubtrockenen Zustand und bespritzen uns mit Bier. Eine_r schleicht sich sogar von hinten an und schüttet mir einen ganzen Humpen über die Rübe. Den fest im Programm installierten Bodenroller darf ich laut Vertrag dennoch nicht streichen und krabbele danach schön paniert wieder auf die Bühne zurück. Ein Typ greift sich mein Mikro und äußert Unmut darüber, dass meine Ansagen nicht politisch genug seien oder nicht mehr so politisch wie früher. Diese gewagte These widerlegen wir mit einer entsprechenden Ansage zu SLIMEs „Schweineherbst“. Auch sonst fühle ich mich jetzt irgendwie gefordert und lege auf allen Ebenen unterbewusst noch ‘ne Schippe mehr Wut drauf. Insgesamt eine tolle Sache bei infernalischer Hitze. Schade nur, dass wir KZIMALPP nicht sehen konnten.


VLADIMIR HARKONNENVLADIMIR HARKONNEN


WORST


WORSTWORST


JoyBoy: Astreiner Affenhardcore, eigentlich nicht so ganz meins, aber scheinbar bin ich grade prima primatenmäßig drauf. Auf jeden Fall hab ich das Konzert und das Gemoshe drumrum, inklusive des menschenschmeißenden Kelling, in sehr guter Erinnerung.

ALTE SAU


ALTE SAUALTE SAU



Steffen: Ewig nicht auf'm Festival gewesen; erstmal adaptieren. ALTE SAU gehen mir nach 1,5 Stücken auf den Keks, ich kuck mir mal den Slot an und ende am just angefachten Lagerfeuer. Die Reizüberflutung läßt nach, allmählich komme ich hier an.

JoyBoy: Bei ALTE SAU schaue ich interessehalber natürlich mal rein, schließlich konnte ich Rachut (Genau, dieser schräge Typ, der so viele sehr gute Punkbands maßgeblich mitzuverantworten hat!) bisher nur mal in einer Theaterinszenierung von STUDIO BRAUN live sehen. Leider entwickelt sich das Konzerterlebnis für mich ähnlich wie meine Versuche, mich mit den Arthausfilmen von Helmut Berger anzufreunden: die gewollte Sperrigkeit der kunsthabitusgeschwängerten Darbietung strengt mich nach ca. 10 Minuten so heftig an, dass sich mein simples Gemüt nach niedrigschwelliger Unterhaltung zu sehnen beginnt. Da nützt es dann auch nichts mehr, dass der jeweilige Hauptdarsteller n geiler Asi ist.

Philipp: Hm, ich kann mich in diesem Fall meinen Vorrednern so gar nicht anschließen, was vielleicht der Tatsache geschuldet ist, dass ich beide Alben von ALTE SAU besitze, mit dem Songmaterial der neuesten Rachutband somit schon im Vorfeld vertraut bin. ALTE SAU verzichten halt auf Gitarren und diese WIPERS-Klampfe war natürlich schon bei den meisten Rachut-Sachen vorhanden. Bei ALTE SAU gibt es im Kern „nur“ Orgel, Schlagzeug und Gesang, was einige als anstrengend empfinden mögen. Für mich sind aber Rachuts Texte und seine Stimme (seit einiger Zeit auch der Wechselgesang) DAS tragende Element schlechthin. Den Wechselgesang von Orgelqueen Rebecca Oehms ergänzen noch zwei Backgroundsängerinnen mit verstörenden Chören. Textlich findet mensch bei Rachut wieder diverse Tiermetaphern, welche häufig menschliche Ängste thematisieren: „Möchtegernwolf, du riechst nach Urin / deine Haut besteht aus Schulden und drei Sorten Flöhen / bist jetzt viel zu alt / keiner will dich nehmen / du stinkst wie ein totes Reh“ („Drei Sorten Flöhe“). Das versteht man auch live rein phonetisch gut, aber während der eine halt ratlos mit den Achseln zuckt, fährt die andere erschrocken zusammen, weil hier irgendein Nerv getroffen, etwas Vertrautes mit Worten umschrieben wird, die bisher für rein privat gehalten oder noch gar nicht gefunden wurden. Toller Auftritt!


ALTE SAUALTE SAU


DAVE SMALLEY


Waldmanweißesnicht


Steffen: DAVE SMALLEY und sein korkenziehergelockter Kollege Pablo sind fast so gut wie das in-depth-Gespräch, daß ich bis dahin mit John Jet geführt habe, meinem Graue-Zellen-Freund-und-Kupferstecher, meiner politischen Leitfigur aus alten und irgendwie doch nicht so schlechten Tagen über der Hohen Straße in Rendsburg. Smalleys metallicblaue LesPaul und Pablos Westerngitarre, auf der er einen formidablen Leadjob erledigt, das funktioniert erstaunlich gut. Zwar waren mir ALL und DESCENDENTS und solche Bands irgendwann immer zu wenig depressiv, aber gegen einen guten Song habe ich noch nie was einzuwenden gehabt. Ich kann außerdem was anfangen mit alten Säcken, die eine Geschichte haben und mir mit der Credibility ihrer mehr oder weniger ausgeprägten Abgewohntheit erzählen, ich solle jeden Tag so leben, als wäre es mein Letzter. Das Proclaimers-Cover "I'm Gonna Be (500 Miles)" gefällt mir am besten. Gäde erlebe ich nach dieser gelungenen Show für seine Verhältnisse geradezu euphorisiert, Matze Koch schielt vor Glück.

VLADIMIR HARKONNEN – der zweite Gig


VLADIMIR HARKONNENVLADIMIR HARKONNEN


JoyBoy: Glücklicherweise fiel irgendeine Band aus, die ich eh eher doof fand, so dass ich doch noch die erstaunlich gelungene „Schweineherbst“-Coverversion live erleben durfte, wenn auch leider nicht wie erhofft mit Jochen als Gastsänger. Nachdem ich das Gefühl hatte, bei VH im positiven Sinne zu wissen, was mich bei den Konzerten erwartet, werde ich an diesem Abend überrascht. Irgendwie passt die Chemie zwischen Band und Publikum heute besonders gut und Henrik sorgt wie schon am Nachmittag für einen sehr guten Sound. Auf jeden Fall entfaltet sich ein angenehm aus dem Ruder laufendes Konzert – eins der besten der Harkonnens, möchte ich behaupten.

Steffen: Und dann setzt die glückliche Fügung, daß die mächtigen VLADIMIR HARKONNEN für die unpäßlichen VÖGEL DIE ERDE ESSEN einspringen, einem zwischenmenschlich schon mehr als üppigen Abend die Billing-Krone auf. "Wer vorhin bei La Paloma war, der hat das rrichtich gemacht!" grunzt Philipp Wolter, und dem kann ich nur beipflichten! Ich war ja auch bei La Paloma, höhö. Plötzlich steht John hinter mir, der's noch nie recht hatte mit Metal (Später lege ich ihm Frank Schäfers "111 Gründe Heavy Metal zu lieben" ans Herz) und den mein am Lagerfeuer gemachtes Bekenntnis, da wieder dran zu sein (wenn auch eher an den zähen Mehlschwitze-Spielarten des Genres), moderat erstaunte. "SO macht mir Metal Spaß!" brüllt er mir ins Ohr. "Für den Erhalt autonomer Zentren!" röhrt Phil, und ich sag zu John: "Ey, der hätte auch von dir sein können, früher!" Wir feiern diese Funken sprühende Kurzstreckenrakete von einem Auftritt ab, wie wir früher Sachen abfeierten, die's wert zu sein schienen und lachen uns kaputt über Wolters Sternstunden der Ansagenkunst; z.B., daß er nach lobenden Worten über die stilistische Vielfalt und das harmonische Miteinander der musical tribes auf dem Wilwarin, kühn metaphert: "VIELLEICHT IS DER MENSCH DEM MENSCHEN JA GAR KEIN WOLF SONDERN, öh, 'NE KATZE ODER SO..." Und dann ist da dieser eine, sehr besoffene Kurzbehoste, der Gäde bei Dave Smalley schon innig auf den Mund küsste (worauf ich ihm den bei unserem Gig auf die Bühne geworfenen Teddy zum Abwischen reichte) und der jetzt Philipp Wolter herzhaft wühlend berüh-, nein: ANFASST, wann immer sich die Gelegenheit findet. Bald ist der Moment wieder da, wo Wolter es, jetzt mit ersten Anflügen von Ratlosigkeit, über sich ergehen läßt und schließlich kommentiert: "Bist eher so der haptische Typ, ne? So'n SÄNGERANFASSTYP..." - worauf die jederzeit feuerbereite Band sich in ihr nächstes Stück stürzt. Die Power und die feist Grimassen ziehende Unmittelbarkeit sind überwältigend. Sehr geil auch die beiden Gitarristen mit ihren schwarzweißen Flying Vs (Der Neue eine von Epiphone, Zarc natürlich 'ne Gibson). Und Es-gibt-nur-einen-Erich-Ulrich, der auch im über-500-bpm-Bereich das Metrum hält wie eine alte Uhr auf Speed. Geile Typen, alle! Eine von der ersten Sekunde an überzeugende Kombination als altem Thrash, altem HC einer glasklar vertretenen politischen Haltung und...SPASS! Und sie covern "Schweineherbst". John Jet steht neben mir, wir grölen mit, da vorne steht Zarc in seinem Poison-Idea-T-Shirt, und ein alter, meinerseits fast schon aufgegebener Kreis schließt sich. Das ist so schön, daß ich am nächten Morgen Tränen in den Augen habe.


VLADIMIR HARKONNENVLADIMIR HARKONNEN


May-Britt: Da das Wilwarin mittlerweile echt länger her ist, kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, was ich denn noch alles so gesehen habe. Anscheinend nichts, was einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. The Dead South hätte ich mir noch gern angesehen, aber die habe ich aus irgendwelchen Gründen verpasst. Ich kann mich nur noch schemenhaft an den DOPPELTEN VLAD erinnern. Vögel die Erde essen, eine Stonerband mit komischem Namen, konnten nicht auftreten und Vladimir Harkonnen sind netterweise eingesprungen. Diesmal auf dem sogenannten Secondground. Für mich ists die Tresenbühne. Auch hier ist es wieder mal staubig, laut und voll. Sehr geiles Ding!

Philipp: Irgendwann zwischen erstem Vladi-Gig und ALTE SAU erreichte mich die Nachricht, dass wir einen zweiten Slot wahrnehmen könnten, da eine Band absagen musste. Auch ich stimme natürlich begeistert zu und so finden wir uns um halb zwölf beim Second Ground ein, um nochmal zu ballern. Der doppelte Vladi! Für Andi, der ja auch bei MØRDER basst, ist es heute sogar der dritte Auftritt an einem Tag, was womöglich irgendeinen Wilwarin-Rekord darstellt. Steffen, May-Britt und JoyBoy haben das so schön beschrieben, dass ich da kaum noch etwas hinzufügen vermag. Aber auch aus Bandsicht lässt sich bestätigen, dass dies einer dieser Auftritte ist, bei dem irgendwie alles stimmt, der etwas Besonderes ist. Die Bedingungen sind schon mal top: Henrik ist zwar im Vorfeld nervös, weil er schon viel über klangliche Schwierigkeiten des Second Ground gehört habe, kriegt das aber super hin, wie uns später wiederholt von außen zugetragen wird. Auch der Bühnensound, den ein separater Mischer besorgt, ist überdurchschnittlich. Dazu ist es kühler als um halb sechs, was den Mob viel aufgekratzter und lebendiger erscheinen lässt. Und man lebt als Sänger natürlich gerade in den Pausen von dem, was so kommunikativ aus dem Publikum kommt. Und da kommt so einiges. Der erwähnte Anfasstyp wird von weiteren Bühnenmarodeuren und Zwischenrufer_innen zum Teil noch getoppt, immer wieder werde ich ins Publikum gerissen, es werden Backpfeifen verteilt und der nervige Pfeiler mitten in der Bühne endlich mal sinnvoll als Garderobe genutzt. Wenn ich allerdings gedacht hätte, dass es unterm Dach weniger Dreck geben würde, so sehe ich mich getäuscht: Es wird vielmehr deutlich mehr Schmodder aufgewirbelt, der sich bald hinter meine Kontaktlinsen setzt und mich fast den gesamten Gig über blind über die Bretter stolpern lässt. Trotzdem ein reiner Hochgenuss. Danke, Wilwarincrew für die doppelte Ladung Vladiismus!


INSANITY ALERT


JoyBoy: Angestiftet durch Kelling sammle ich ich mich nocheinmal für den späten Auftritt von INSANITY ALERT aus Ösiland, was mir mittlerweile nicht mehr ganz leicht fällt. Andi unterstützt mich dann glücklicherweise moralisch an der Bar. Als INSANITY ALERT dann schließlich loslegen, schläft Kelling, während mir schlagartig jede Müdigkeit aus dem Körper gemetert wird. Alter Schwede: MUNICIPAL WASTE geteilt durch OI POLLOI. Ich raste aus! Der Sauf-und-Kiff-Thrasher-Humor der Band drischt in meinem Zustand zielsicher auf einen offenliegenden Nerv ein. Spätestens beim „Run to the hills“-Cover, bei dem im Refrain publikumsanimierende Plakate keine Fragen zu den vorgenommenen Textmodifikationen offen lassen („RUN TO THE PIT!“ bzw. „MOSH FOR YOUR LIFE!“) hat die Band die Menge heftigst im Griff. Späte Überraschung und nochmal ein echter Höhepunkt. Ich sehe mich amüsiermäßig nunmehr für dieses Jahr im Soll und gehe schlafen.

Philipp: Ich bin eigentlich richtig hart im Eimer, kann mich aber nicht vom INSANITY-ALERT-Auftritt losreißen. Beim Umbau hatte ich ‘nen kurzen Schnack mit der Band, der mich sie als sympathisch und interessant zugleich hat wahrnehmen lassen. Das ganze Gedöns wie Aufsteck-Krabbenhände („Confessions Of A Crabman“ oder so), Schilder mit Aufforderungen wie „Mosh!“, die im richtigen Moment präsentiert werden (Gitarrist shreddert wie Hölle, Sänger hält ein Schild mit Pfeil und der Aufschrift „This guy!“ hoch), oder durchgeknallte Sehhilfen unterstreichen nur den musikalischen Irrsinn, der in der Tat vor allem an Bands wie MUNICIPAL WASTE erinnert. Der Sänger ist ein agiler Kerl mit erstaunlich morphbarer Physiognomie , der den Pit immer wieder zu nächtlichen Höchstleistungen antreibt. Innsbruck mosh!

May-Britt: Danach wird wieder ordentlich zu Musik aus der Dose getanzt und noch mehr Pfandchips angesammelt.

Und sonst so? Die Elektro und Reggaestage sind dieses Jahr völlig an mir vorbeigegangen. Die Leute dort schienen aber ihren Spaß zu haben. Auch toll sind die riesigen Diy-Hollywoodschaukeln und die liebevoll gestaltete Deko. Einen Fotoautomaten gabs wohl auch, muss bei der Selfiegeneration wohl sein. Das Publikum war insgesamt sehr durchmischt, von jungen Abiturientenhipstern bis Altpunks, von zotteligen Hippie-Omas bis finster dreinblickenden Metalern war (für) alles und jede_r (etwas) dabei. Das macht für mich auch zum Teil den Reiz des Wilwarins aus :-)

Auch wenn die Stimmung auf dem sich schon nahezu komplett geleerten Festivalgelände schon geradezu postapokalyptisch war, wurde noch gemütlich gefrühstückt und ausgekatert. Schade, dass viele Festivalbesucher trotz Müllpfand so unglaublich viel Schrott und Zelte stehen lassen...

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen unseren Fahrer richtig doll zu nerven und nackt, bierdosenwerfenderweise im Auto rumzugröhlen (er würde es mit Sicherheit auch tun), aber wir waren wohl viel zu zerfeiert und tiefenentspannt vom wilwarianischen Hippiefeeling.

Ich freue mich jetzt schon wieder total auf nächstes Jahr!!


Philipp: Ein herrliches Wilwarin geht zu ende? Noch lange nicht! Aber ich resümuiere, dass es für mich eins der schönsten Wilwarins war. Perfekte Stimmung ohne Stress, krass gutes Wetter, tolle Bands, die zwei eigenen Gigs, Liebe und Bier. Der Dachs ist im Bau!



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