WILWARIN 2015, 06.06.2015 – Ellerdorf, am Arsch der Heide, Tag 2

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Pan: Nach einer Nacht, in der ich mir zahlreiche Arten ausgemalt habe, wie man der Musikbeschallung der Nachbar_innen ein Ende bereiten kann, werde ich wach. Stimmen von nebenan: „Oh, ist die Batterie leer? Ich versuche mal, das Auto anzumachen…“ Röchelndes Geräusch einer sterbenden Autobatterie. Dreckiges Lachen meinerseits. Endlich mal ein paar Minuten Ruhe vor K.I.Z. & Trailerpark in Endlosschleife. Dann haben sie ein weiteres Auto aufgetrieben, dessen Autobatterie geopfert werden kann. Mist. Dabei hatte der Tag gut angefangen.


BULLENSACK

Bericht von Pan, JoyBoy, Niklas und Philipp, Bilder von Niklas, Marie, Giuliana, Dina, Micha, Martin Spider und Elza




Philipp: Optimalerweise hatte es sich über Nacht etwas abgekühlt, sodass man nicht schon um 08.00 Uhr oder so von der Sonne herausgeknüppelt wird und länger pennen kann. Ich find es aber immer noch warm genug für ein Bad im See. Jahrelang hab ich mir übrigens für das Wilwarin Duschen gewünscht. Nun gibt es derer zwei – und ich bade im See! Das Leben steckt voller äh Merkwürdigkeiten.

Pan: Ein Kaffee hebt meine Laune dann wieder etwas, später bringt mich der köstliche „Cheeseburger“ aus der „Vleischerei“ endgültig zurück zu den gut Gelaunt- und Genährten. Nicht ganz billig, aber eine sinnvolle Investition! Überhaupt möchte ich anmerken, dass die Essenssituation auf dem Wilwarin sich in den letzten Jahren sehr zum Positiven verändert hat. Der Campburger-Stand zwischen Mainstage und 2nd Ground mit seinen unfassbar langen Öffnungszeiten ist einfach der Hammer und freut mich jedes Jahr wieder. Und die kleine Fressmeile an der Skatestage mit u.a. „Vleischerei“ und richtig gutem Kaffeestand sowie allerhand anderem Tand ist am Einlass/Ausgang neben der Skatestage ebenfalls hervorragend platziert. Die dort ansässige Goldeimer-Crew bietet übrigens eine sehr angenehme Alternative zu den Dixies, auch wenn diese Samstagfrüh frisch geleert wurden und noch nicht endgültig gruselig sind.

SKATERAMPE



KRÄUTERWUMMS

Skatestage



Philipp: Frisch und duftend genehmige ich mir KRÄUTERBUMS, die aber tatsächlich KRÄUTERWUMMS heißen. Der gute Josten sagt die Band mit durstig klingender Kehle an und ab geht’s mit einer Art AkustikReggae, gespielt von vier Typen im Sitzen. Ist zwar nicht unbedingt meine Mucke, aber ich treffe schön viele Leute, die wie ich schon Bock auf BULLENSACK haben. Das Bad hat mich fit und tatendurstig gemacht, das Wetter ist perfekt (manche finden es zu kalt, kann ich nicht nachvollziehen) und ich bekomme richtig Bock auf diesen Tag. Da ertappe ich mich doch glatt selbst dabei, dass ich zu KRÄUTERWUMMS mitwippe und schief bis schlecht mitsinge.

Pan: KRÄUTERWUMMS bekomme ich am Rande mit, während ich mich an der Fressmeile rumtreibe. Ein paar Herren mit Akustik-Klampfen singen ganz unterhaltsames Zeug und erinnern mich an die Zeiten, als Bodo, der ßeneliedermacher die Festivalsamstage eröffnete. Vor der Skatestage sitzt auch schon ein ganzer Mob an Leuten und schunkelt mit.


BULLENSACK

Gelände



Niklas D.: Samstagnachmittag ist die Skater-Stage wie immer ein sehr beliebter Treffpunkt, um ordentlich eigenes Bier zu kippen und Bands, Skate-Contest und Bolzen zu glotzen. Bullensack räumen direkt mit einigen Hits die Sympathien der Meute ab.

Philipp: Schon witzig: Da stehen vier besoffene Kumpels auf der Bühne und begeistern mich mit ihrem Auftritt mehr als alle „großen“ Bands auf der Hauptbühne. Wie immer gibt es die totale Deutschpunkramme. Von RAZZIA über KNOCHENFABRIK bis hin zu COTZBROCKEN geht der wilde Ritt. Macht das Laune! Darf ich hier zugeben, dass ich mehrfach ‘ne Gänsehaut bekomme? Bei BULLENSACK, hahaha! Man kennt fast jeden Text auswendig, und im Mob siehste überall grinsende Gesichter von x Bekannten. Das Bier spritzt nur so, immer wieder hechten Gastsänger ans Mikro und bölken mit, Thrun zum Beispiel bei „Filmriss“. Den Brüller bringt Moe, Entschuldigung „der dicke Gelbe“, als ein Punker auf die Bühne krautet und mit beiden Pranken mehrfach in den Bandbierkasten vorm Schlagzeug greift und die Pullen fröhlich in die ersten Reihen verteilt: „Das ist unsere Gage, ihr Pferde!“ Meine Highlights sind DRITTE WAHLs „Greif ein!“ und SLIMEs „Deutschland muss sterben“, glaub ich, wobei das von der Deutschpunkschiene abweichende „Bite it, you scum“ auch immer wieder gut kommt.

Pan: Frisch gestärkt sind für mich dann BULLLENSACK das erste must-see des Tages. Bei der exklusiven Wilwarin-Reunionsshow, nach der sich die Band auch direkt schon wieder auflöst, werden allerhand Punkhits wiederaufgewärmt: SLIME, VORKRIEGSJUNGEND, KNOCHENFABRIK, DRITTE WAHL … alles dabei. Alle dürfen mal singen und am Ende gibt es ein nicht geprobtes „Bite it, you scum“ als Zugabe. Ich fand’s super!

Niklas D.: Danach Chaos im Kopf, Christian Steiffen und Hårda Tider fallen meiner unfähigen Uhr-Timetable-Koordination zum Opfer. Frusttrinken.

TESTER GIER

Snackattack

 

 

Joy Boy: Nachdem der eigene Auftritt vollkommen planmäßig absolviert ist, zieht mich irgendwer zu TESTER GIER aus Polen, die vor allem mit inflationären Circle-Pit-Aufrufen und „very important song“-Ankündigungen unterhalten. Toll.


SMILE AND BURN

Mainstage



Pan: Bei SMILE AND BURN bin ich versehentlich in der Nähe der Mainstage und stelle fest, dass ich immer noch nix mit dem Pop-Punk der Band anfangen kann. Immerhin ist das Set eh fast durch als ich dort ankomme.


THE STEREO ROMEOS

SPACE CHASER

Balkenhänger



Joy Boy: Die erste Band, die mich dann wieder aufs Gelände lockt, sind die STEREOROMEOS. Die dudeln jetzt mal wieder mit Olli am Schlagzeug ihre eingängigen Tophits, darunter sogar welche, die mir noch gar nicht bekannt sind. Von der kommenden Platte vielleicht? Ich hab Bock, muss aber dann dringend weg, weil zeitgleich SPACE CHASER musikalisch und optisch die Königsdekade des Thrashmetal direkt nach Ellerdorf beamen. Besonders die Spandexbuxe und Turnschuhe eines Gitarristen haben es mir dabei angetan. Wohl hauptsächlich aufgrund der Stimme fühle ich mich an OVERKILL erinnert. Z i e m l i c h geil.

Philipp: Verdammt, die STEREOROMEOS hätte ich so gern noch viel länger gesehen. Aber SPACE CHASER rufen und da MUSS ich hin. Der kurze Eindruck ist dennoch super, obwohl die Romeos wie fast alle Bands der Hauptbühne das Problem haben, dort nicht so richtig zu wirken. Beim Second Ground dagegen platzieren Siegfried und seine Genossen ‘ne Atombombe direkt in mein kleines Vorgelhirn. Mit „Loaded To The Top“ geht es gleich mit Vollgas los. Hach, was ist das geil, der Song kann einfach alles: Furios schnelles Anfangsriff, plötzlich ein Break in ein moshiges Stakkato – da setzt schon Siegfried bierbullenschwenkend mit seiner geilen Kreischstimme ein und ohne viel Gewämmse böllern SPACE CHASER nach einer Strophe in den herrlichen Refrain: „LOADED TO THE TOP! LOADED TO THE TOP! I feel the liqueur in my mind. WASTED TO THE CORE!” Gut, der Text ist jetzt nicht Grimme-Preis-verdächtig, holt mich andererseits aber auch genau da ab, wo ich gerade stehe, ähem. SPACE CHASER wieseln flink von Song zu Song und erwischen mit „Watch The Skies“, „Interstellar Overlords“, „Predator“, „Decapitron“ und „Skate Metal Punks“ ein paar meiner Lieblingssongs. Ist eigentlich das ANTHRAX-Cover von „Caught In A Mosh“ auch wieder in der Setlist? Bin mir momentan nicht mehr sicher. Egal, definitiv einer der tollsten Auftritte des Wochenendes. WATCH THE SKIES!

Pan: Dafür freue ich mich schon im Vorfeld, SPACE CHASER wieder live zu sehen und werde nicht enttäuscht. Langhaariger Thrash-Metal mit kreischig-hohem Gesang und ähnlich tighten Hosen wie Performancekünsten. Ich lasse mich zur Darbietung der Metalkralle hinreißen. Aber warum kostet die LP, die im Anschluß neben der Bühne verkauft wird, gleich € 15,00?!

Statt Bilder: https://www.youtube.com/watch?v=ZrfB3ngof7M


HARDA TIDER

Joy Boy: Das schönste Actionerlebnis des Festivals bescheren mir eindeutig HÅRDA TIDER. Bei den Schweden findet sich verhältnismäßig wenig Publikum ein (CHRISTIAN STEIFFEN spielt wohl parallel). Das macht aber gar nichts – mehr Platz zum Ausrasten für solche, die da sind und Hardcore-Punk generell eher für sehr gut halten. Der extatisch in den Seilen hängende Philipp tut sich besonders hervor. Ich bin danach ganz erschöpft von der hemmungslosen Toberei und lasse mich erstmal von Marco mit meisterlich marinierten und gegrillten Sojasteaks bedienen.

Philipp: Wuhuuu, ja! Ich bin wirklich so mitgerissen vom Auftritt, dass ich irgendwie wie von Sinnen in die Takelage hüpfe und im hängenden Zustand abgehe. Danach muss ich sogar fanboymäßig zur Band latschen und meiner Begeisterung direkt Ausdruck verleihen. Was war da passiert? Die Schweden sind so derbe wütend und energiegeladen, wie ich es schon lange bei keiner Youth Crew Hardcore/Punkband gesehen habe. Ich muss an die 1989er Tour von YOUTH OF TODAY denken, bei der ich drei Konzerte besucht habe, weil ich von der immensen Power so geflasht war. HARDA TIDER sind auch so schnell und angepisst, haben zudem ähnlich tolle Refrains wie die großen Vorbilder. Für viele ist dies im Nachhinein der beste Auftritt des Wilwarins. Ich seh SPEEDTRAP noch davor und SPACE CHASER sowie BULLENSACK auf gleicher Stufe.

Pan: Danach geht es direkt weiter zum nächsten Highlight – HARDA TIDER auf der Skatestage. Auch wenn ich aufgrund von Fehlinformationen („Die fangen erst 19.30 Uhr an“) etwas spät auflaufe und ungefähr das halbe Set verpasst habe, ist es immer noch großartig: Angepisster „Crime City Hardcore“, der durchaus NYHC-ish daher kommt und vor der Bühne ein enthemmter Mob, der freidreht. Die Freude im Vorfeld war berechtigt. Im nächsten Jahr bitte mehr davon, Wilwarin!


CHRISTIAN STEIFFEN

Christian Steiffen



Pan: Auf dem Weg zum Merch und somit zur HARDA TIDER LP müssen wir noch einmal an der Hauptbühne vorbei, auf der gerade CHRISTIAN STEIFFEN performt. Ich war bereits im Vorfeld durch den Namen und Erzählungen nicht gewillt, mir das Ganze überhaupt anzugucken, weil ich so krampfhaft-lustig-und-ironisch-Kram schon aus Prinzip nicht lustig finden kann. Dummerweise hat dieser aber nicht nur die etwa 350 (?) Menschen vor der Hauptbühne ganz hervorragend im Griff, sondern kurz darauf auch mich in seinen Fängen. „Ich hab dir den Mond gekauft… und morgen schieß‘ ich dich darauf“ sowie „Das Leben ist nicht immer nur Pommes und Disco, das sag ich dir - manchmal ist das Leben einfach nur eine Flasche Bier“ sind leider unerhört catchy und beim ersten Hören tatsächlich auch ziemlich lustig. Aber der eigentliche Grund zu bleiben ist einfach die Performance von CHRISTIAN STEIFFEN selbst, der im blauen Rüschenhemd und dem Auftreten eines großen Schlagersängers/Entertainers der 90er Jahre seine Rolle perfekt spielt. „Dieses Jackett habe ich trotz der Hitze nur deshalb anbehalten, damit ich es bei dem nächsten Lied ausziehen kann – und dann dreht ihr alle durch!“, funktioniert natürlich tatsächlich. Schon beim ersten Antäuschen des Jacket-Ausziehens kreischen alle wie verrückt. Die angesagten Tanzschritte „rechts, links, dreh dich im Kreis – so bist du heiß“ werden auch in den hinteren Reihen begeistert mitgetanzt. Und überflüssig zu sagen, dass sich bei „eine Flasche Bier jetzt nochmal in der Marschversion, damit wir eine Polonaise machen können“ eine riesige Polonaise zwischen Bühne und FOH erstreckt. Ich fühle mich zu meiner eigenen Überraschung ganz hervorragend unterhalten.

https://www.youtube.com/watch?v=B6ypna8mowU


BUSTER SHUFFLE

Philipp: Ich hab irgendwie zahlreiche Bands gesehen und trotzdem in so unendlich viel netten Campgruppen abgehangen. Irgendwo wurde mir ein eiskalter White Russian serviert, woanders gekonnt der Kopf gekrault. Da ist es zu verschmerzen, dass ich mit TESTER GIER und GODDAMN GALLOWS offenbar auch Sachen verpasse, die gut gewesen sein sollen. Aber zu BUSTER SHUFFLE bin ich wieder am Start, hat mir die Band doch auf der 2012er Ausgabe des Wilwarins gefallen. Die Mischung aus Ska, Punk, Pop und Rock'n'Roll zündet immer noch. BUSTER SHUFFLE kommen mit ‘ner gewissen Lockerheit rüber, die einfach perfekt auf so’n Sommerfestival wie das Wilwarin passt. Falls du unter Sorgen leidest, kannste die bei dieser Musik bestimmt einfach mal gekonnt wegtanzen und exaltiert alle Gliedmaßen von dir schmeißen. Was die Londoner bei aller Gute-Laune-Attitüde vor einer gewissen Beliebigkeit bewahrt, ist u.a. der breite Cockney-Slang des Sängers. Davon kann ich ja gar nicht genug bekommen. Nicht umsonst hat sie irgendein Kollege mal als „piano bashing cockney mayhem“ beschrieben. Die permanent tanzende Background-Sängerin und der Kontrabass sind willkommene Additionen und so ist es kein Wunder, dass die Menge bald amtlich hin- und herwogt.

Pan: BUSTER SHUFFLE haben ja schon vorher mal auf dem Wilwarin gespielt und bereits damals zu gefallen gewusst. Geboten wird rock’n‘rolliger Ska mit british accent und ganz netter Liveperformance, in dessen Verlauf sich der Sänger offenbar eine ganze Flasche Rotwein reinschüttet. Unterhaltsam.


SATANIC SURFERS

Joy Boy: Später wird mir auf dem Gelände von Bocky erklärt, dass die dort gerade spielenden SATANIC SURFERS total gut sind. Er wird es schon wissen.

Philipp: Ich bin mir sicher, dass mich Kalle damals mindestens ein- oder zwei Mal auf Festivals wie Dynamo und WFF zu SATANIC SURFERS-Auftritten gezerrt hat. So richtig hängen geblieben ist da nie was, muss ich ehrlich sagen. Erst in den letzten Jahren hab ich Rodrigo als ziemlich geilen Sänger bei ATLAS LOSING GRIP entdeckt, u.a. auffem Wilwarin 2013. Nun ist er also zurück bei den SATANIC SURFERS, die von sehr vielen Leuten hart abgefeiert werden. Mir scheint es so, als sei die Band noch nicht ganz 100%ig eingespielt, was mich aber auch nicht stört. Allerdings plätschern die Songs auf Dauer doch etwas an mir vorbei, und ich marodiere irgendwann während des Auftritts mit verschiedensten Leuten übers Gelände und verfolge das musikalische Geschehen eher nebenbei.

Pan: Dann, endlich, SATANIC SURFERS! Angeblich wurde im Nachhinein gemunkelt, sie hätten etwas untight gespielt, aber das habe ich nicht so empfunden. Stattdessen bin ich begeistert, wie gut alles technisch sitzt und wie stabil Rodrigo singt, obwohl er, glaube ich, zwischendurch ansagt, dass er stimmlich nicht so fit wäre (?). Neben mir scheint das Publikum zudem ausschließlich aus Mittzwanziger bis Mittdreißiger Skaterjungs zu bestehen, Klischees wollen ja bedient werden, haha. Alles in allem bin ich auf jeden Fall ein Mal mehr als begeistert von der hohen Qualität der Band.


MOSCOW DEATH BRIGADE


MOSCOW DEATH BRIGADEMOSCOW DEATH BRIGADE


Niklas D.: Moscow Death Brigade entspricht nicht meiner Erwartung, hatte eine Band mit Rappern erwartet, auf der Bühne stehen aber nur drei Rapper und Gitarren zerren vom Band. Die Jungs treten lieber mit Masken auf, was einem ein ziemlich mulmiges Gefühl gibt, welche Repressionen da sonst so zu erwarten sind.

Joy Boy: MOSCOW DEATH BRIGADE sind für mich der letzte Pflichttermin in diesem Jahr. Ihre EP „Hoods up“, die mit „Ghettoblaster“ ja auch sowas wie einen echten Undergroundhit enthält, halte ich nämlich für ziemlich geil. Beim Soundcheck stelle ich allerdings fest, dass bis auf die Raps ja alles vom Band kommt, sogar die Gitarre. Zudem tönt das Playback unangenehm übersteuert aus den Boxen. So ist das gar nicht mal so geil, denke ich mir. Die meisten der Anwesenden scheinen das ganz anders zu sehen, aber bei mir springt unter diesen Umständen der Funke nicht über und nach ein paar Songs widme ich mich lieber meinen Getränkebons, deren Besitz mir plötzlich wieder ins Bewusstsein tritt.

Philipp: Diese Band hat gleich vier Besonderheiten: einen unsichtbaren Schlagzeuger, zwei unsichtbare Gitarristen und einen unsichtbaren Bassisten. Halbplayback, der aber den Second Ground erbeben lässt. Die Vehemenz, mit der hier antifaschistische Botschaften rausgehauen werden, beeindruckt durchaus. Die drei Maskierten rappen in den Songs um die Wette und donnern dazwischen einen verbalen Einpeitscher nach dem anderen raus. Einen Tonträger bräuchte ich davon wohl nicht, aber so als Bonus auffem Festival kommt das schon mal ganz interessant. Solidarität für deren Einstellung und die Chuzpe, das unter Lebensgefahr in Russland durchzuziehen.

Pan: Bei MOSCOW DEATH BRIGADE werfe ich einen kurzen Blick in den 2nd Ground, aber da es brechend voll ist und ich die Band eh nicht so toll finde, machen wir uns bald auf den Rückweg. Soundmäßig kommt an der Seite auch nicht viel an und prägender ist die Erinnerung daran, dass ich mich mit zwei Leuten unabhängig voneinander über die „Mackervorwürfe“ der Band gegenüber unterhalten habe.


ROCKAWAY BEACHBOYS

ROCKAWAY BEACHBOYS



Joy Boy: Derart angeheitert bin ich wenig später in der richtigen Stimmung für die ROCKAWAY BEACHBOYS, die diesmal deutlich besser spielen, als ich es von ihnen erwarte, und die mich dennoch bei einigen Songs mit ausgefallenen Tempi positiv überraschen. Ich mag es, wenn Coverbands mehr auf Enthusiasmus als auf Perfektion setzen. Gerade bei den RAMONES wäre letzteres ja nun auch wirklich Quatsch. Diesmal bin ich mir da mit den Menschen um mich herum scheinbar auch einig, sodass einige Songs („Rockaway Beach“ und „The KKK took my baby away“?) sogar zweimal bejubelt werden dürfen. Ein würdiger Abschluss. Ich danke und freue mich auf mein nächstes WILWARIN.

Niklas D.: Der Festivalabschluss mit den Rockaway Beachboys ist für mich dann das Highlight! Die Jungs haben wohl zwei, drei Mal vorher geprobt, keine Ahnung, ob ich die je so text- und akkordsicher gesehen habe. Der Auftritt lässt mich sprachlos zurück, auch weil die Texte aus den hintersten Ecken meines Hirn zielsicher mein Sprachzentrum aktivieren und ich jede Zeile mitblöke.

Philipp: Ich habe die Ehre, mit den Jungs hinter der Bühne einen Schnaps trinken und sie dann ansagen zu dürfen. Damit knüpfen wir an eine alte Wilwarin-Tradition an, wurden die Bands früher doch gern von Leuten wie dem traurigen Oli und eben mir angesagt. Ich bin schon gut am Stizzle und weiß gar nicht mehr, was ich mir da spontan aus den Rippen geleiert habe. Aber wichtiger ist eh die Musik! Eigentlich sind die ROCKAWAY BEACHBOYS ja „nur“ eine RAMONES-Coverband und eigentlich gibt es derer so viele wie nicht abgegebene Pfandbons in meinem Portemonnaie. Aber was für einen Spaß die Band entfacht! Ein super Abschluss, zumindest für den Live-Teil des Festivals. Die Leute wirbeln nur so durh die Gegend und jede_r grölt mit. Ich habe noch Tage später RAMONES-Ohrwürmer im Kopf. “We're a happy family / We're a happy family / We're a happy family / Me mom and daddy!”

Philipp: Danach ist aber noch lange nicht Schluss, vielmehr beginnt für mich eine höchst erbauliche Odyssee übern Ellerground und beyond. Ich verweile in Wohnmobilen, tanze auffer Electrostage, gebe mich einer nächtlichen Fressattacke hin, treffe die tollsten Leute und unterliege einem ca. einstündigen Lachflash. Aber euch interessieren ja wieder nur die Bands, also genug davon.


FAZIT

Philipp: Ich fand das Wilwarin dieses Jahr besonders geil. Kritikpunkte waren häufig in der Form zu hören, alsdass viele es zu voll fanden. Größer darf’s nu echt nicht werden, stimmt schon. Andererseits war es auch nie unangenehm drängelig, was möglicherweise an den verschiedenen Bühnen liegt, welche die Masse atomisieren. Eine andere Sache waren die Dixieklos, die irgendwann nicht mehr geleert und nur noch für ganz hartgesottene Besucher_innen für ‘ne entspannte Entschlackung in Frage kamen. Mein Tipp: Diese Toiletten rechts neben dem Eingang in so Bauwagen, für die man Sägespäne zum Drüberkippen bekam und bei Bedarf ein Wendy-Heft zum Lesen leihen konnte (eine Benutzung kostete allerdings auch zwei Euro oder so). Naja, und das doch vermehrt auch Idioten unterwegs waren, welche die Orga zum folgenden Statement inspirierten: „Doch alles hat seine Grenzen! Warum nur verirren sich Grauzonenheinis, stinkin NAZI Scum und Antifa bedrohende Schland Assis zum Wilwarin??? Habt ihr nix kapiert? Bitte geht 2016 zu anderen Festen, oder besser noch: bildet euch, ändert eure Meinung, versucht mal um 2 Ecken zu denken, anstatt den einfachen Weg zu wählen. Nehmt die Scheuklappen ab, dann könnt ihr gerne wieder kommen. Ansonsten seid ihr unerwünscht in ELL!“

Right on! In diesem Sinne: ONWARD TO WILWARIN 2016!

Pan: Am nächsten Morgen war es das dann schon wieder mit dem Wilwarin, schade. Allerdings gestaltet sich der Abschied insofern wirklich unschön, als dass alle Dixies komplett bis zum Rand voll sind. Ich verstehe ja, dass eine Zwischenreinigung vor der Abholung (die wahrscheinlich ebenfalls Sonntag erfolgt?) noch mal Extrakosten mit sich bringt. Auf der anderen Seite kann es aber auch nicht im Interesse der Veranstaltenden sein, wenn sonntags alle Menschen zum Kacken in den Wald gehen oder noch mal auf das ohnehin schon überfüllte Dixie draufmachen. Bei inzwischen € 60,- Eintritt hatte ich mir da ehrlich gesagt ein bisschen mehr von der sanitären Situation erhofft. Ansonsten fand ich es nach wie vor recht angenehm familiär auf dem Wilwarin, auch wenn die Idiotenanzahl leider parallel zur generellen Besucher_innenzahl ebenfalls stark gestiegen ist. (Ja, wir haben den Nachbarn am nächsten Tag gesagt, dass Musik um 2.30 Uhr in der Lautstärke nicht mehr sein muss und sie waren auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten ziemlich einsichtig. Und als Ausgleich hatten wir auch sehr coole, andere Nachbarn – ein Hallo an Alexia und Carsten an dieser Stelle!) Trotzdem, die Zweifel bleiben. Bei dem mittlerweile relativ hohen Eintrittspreis werde ich wohl auch im nächsten Jahr wieder gründlich überlegen müssen, ob mir ein paar wenige interessante Bands als Grund genügen, immer wieder nach Ellerdorf zu fahren oder ob ich das Geld künftig lieber in andere Festivaltrips investiere. Auch wenn das Essen da schlechter sein wird :D

Bierbons

Kommentare   

0 #5 wnbe 2015-07-03 22:14
Pan, das ist so nicht korrekt. Unsere Anlage lief das ganze Wochenende mit einer einzigen Batterie durch. Das Auto war bloß tot, weil wir gerne Trailerpark und KIZ gleichzeitig hören wollten....
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+1 #4 smeerlapp 2015-07-01 20:26
Kalt erwischt hats mich ausgerechnet auf der grossen Bühne, wo ich mich doch ansonsten anschließen kann dass das was da passiert für mich selten gegen das Flair vom secound ground anstinken kann. Letzte Band, nix erwartet und dann: Raketkanon! Was war das denn, wer hat die denn gebucht? Wie ne Rockshow auf Psychose, komplett gegen den Strich und trotzdem wumms dabei, der Gesang irgendwo im Jenseits, die Typen wie die Irren zugange...Kinnlade unten. Und danke Wilwarin, das ist punkrock die an der Stelle zu servieren...
Nachteil war das mir nach dem Trip die sonst geschätzen Rockaway Beachboys eher so profan wie´n Rasenmäher vorkamen...
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+2 #3 smeerlapp 2015-07-01 20:26
Nabend, das Wilwarin war super, zwei meiner Highlights fehlen hier noch:
Den Steiffen hätt ich mir bestimmt auch ganz geben können, aber nach 3 Songs wollt ich mal kucken was Dyse unterm Schuppendach treiben. Und es muss sich gelohnt haben, denn da bin ich kleben geblieben. Schön dummes Zeug haben die beiden Spacken zwischendurch gelabert und so war die Laune beim Publikum bestens, um bei den Avantgarde Nackenbrechern ordentlich abzugehen. Hohes Budget für spätnachmittags mal vorbeilaufen.
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+1 #2 pan 2015-06-28 17:55
Ja, das Anthrax-Cover war in der Setlist :-)
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+3 #1 kristoffer 2015-06-28 17:29
Top Festival! Das mit den Dixies ist allerdings wirklich nervig!
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