PLATTENSÜCHTIG – Jürgen Schmich (Buch, plattensuechtig.de)

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„Post coitum omne animal triste est.“


In den letzten Ausgaben des OX-Fanzines (#114 und #115) sind Auszüge aus diesem Buch präsentiert worden. Der Schreibstil und die Herangehensweise des Autors Jürgen Schmich haben mich sofort angesprochen, weswegen ich mir das Buch über die obige Website bestellt habe. Schmich hat ein Gespür dafür, welche Aspekte des Plattensammelns (auch für Nichtsammler) faszinierend oder mindestens interessant sein können. Im Grunde ist es gar nicht so wichtig, dass es um Platten geht. Viel zentraler ist die Leidenschaft der Sammler, ihre individuellen Wege, ihr Gebiet einzugrenzen, ihre Art, die Sammlung zu archivieren und die generelle Frage, ob eigentlich die Jagd nach einer Platte oder ihr Besitz erfüllender ist. Ihr merkt schon: Das ist quasi ganz breit interpretierbar…


Plattensüchtig

 


Das Herzstück des Buches sind sieben Interviews mit Schallplattensammlern der härtesten Kategorie. Es geht hier um die ganz Süchtigen im Endstadium, welche dem Sinn des Lebens hart auf den Spuren sind. Immer wieder gibt es haarstäubende Geschichte zu einzelnen Platten, für die einige der Protagonisten um die halbe Welt gereist sind. Details zu wertvollen Alben lassen staunen – z.B. die zu „Double Fantasy“ von John Lennon und Yoko Ono: „Die Musik der 1980 erschienen LP kann sich jeder für ein paar Euro besorgen. Es existiert aber nur ein Exemplar, das sich Mark David Chapman von John Lennon signieren ließ – sechs Stunden, bevor er ihm mit vier Schüssen in den Rücken das Leben nahm. 150.000 Dollar zahlte ein Sammler angeblich für diese Killer-Platte.“ (S. 33) Spuren der Vergangenheit sind eh ein gutes Stichwort: „Es soll Sammler geben, die verdrecktes Vinyl oder ein verschlissenes Cover zu schätzen wissen. Sagen wir’s so: Sie kämen nie auf die Idee, eine Platte zu säubern. Der Gedanke dahinter ist so einfach wie bestechend: Erst die abgestoßenen Ecken der Hülle, die mit Sternchen markierten Titel-Favoriten, ein Brandfleck, ein mit Tesa reparierter Riss, ein Kratzer in Vinyl, der Schmutz in den Rillen oder der krakelige Namenszug des früheren Besitzers auf dem Label machen eine Originalplatte zu einem echten Zeitdokument. Alle diese Spuren bringen die Vergangenheit in die Gegenwart. Werden sie entfernt, verschwindet auch die mit der Schallplatte verbundene Zeit.“ (S. 31)


In vielen Aussagen, welche in den Interviews getroffen werden, kann man sich wiederfinden. Ein Klassiker z.B.: „Man meint, dass man irgendwann einmal alles hat, was man will – vergiss es! Wenn man erst mal angefangen hat zu sammeln, dann wird es immer verrückter, meine Suchliste wird länger und nicht kürzer.“ (Chris Wallner, S. 161) Auf der anderen Seite kann ich persönlich nicht nachvollziehen, warum jemand z.B. den kompletten Katalog eines Labels sammelt, also in Kauf nimmt, dass Alben dabei sein MÜSSEN, die einem gar nicht gefallen. Oder wenn sich jemand auf eine Band spezialisiert und jede VÖ in x Auflagen und Pressungen sucht. Aber es ist natürlich auch gerade interessant, auch in diesen Fällen erklärende Aussagen zu derartigen (und deutlich exotischeren) Sammelgebieten zu lesen.

Plattensüchtig


Die Interviews sind sehr gut geführt, der Autor geht bedacht an das Thema heran und stellt Fragen, welche den jeweiligen Sammler in Erzähllaune versetzen. Jeder der interviewten Sammler wird inklusive seiner vollgestopften Wohnung mit Fotos präsentiert, die allein schon sehenswert sind.


Tja, um zum einleitenden Zitat zurückzukommen. Lemmy ist sich ja sicher: „The Chase is better than the catch.“ Das sehen die hier vertretenen Sammler völlig unterschiedlich. Ich persönlich jage zwar gern auch mal jahrzehntelang bestimmten Scheiben hinterher, kann mich dann aber gerade an ihr erfreuen, wenn ich sie dann endlich abernten kann.


Für 22,- Euro bei http://www.plattensuechtig.de/


Plattensüchtig
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