KYLESA, LAZER/WULF / 15.06.2014 – Kiel, Pumpe

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Philipp: Was für ein Wochenende! Allein in Kiel an mehreren Tagen die Qual der Wahl – AUXES/SWEET COBRA oder YOUR DYING TRUTH am Donnerstag (zähl ich einfach mal zum Wochenende), SUBHUMANS oder KEINE ZÄHNE… am Freitag (dazu ja noch das SUBWAY-Revival) und dann kommen am Sonntag auch noch KYLESA in die Stadt. Bis zum Konzerttag konnte ich nicht glauben, dass die Band tatsächlich im Roten Salon spielt. Würden da überhaupt die beiden Schlagzeuge auffe Bühne passen und kann man dort überhaupt alle Besucher_innen reinquetschen?


Bericht von Olli Schröder-Meyer und Philipp Wolter




Olli: Dieselben Fragen wie dem lieben Herrn Wolter sind mir da auch durch den Kopf gegangen. Vor allem was die Besucheranzahl angeht. Hey, ich meine KYLESA - da sollte doch eigentlich der große Raum gefüllt sein! Oder ist es vielleicht doch nur die subjektive Wahrnehmung dieser genialen Band und ihrer Musik, die mein Realitätssinn getrübt hat? Schließlich ist es Sonntag an dem oben beschriebenen WE (zudem war im Schrevenpark am Tag zuvor ja auch eine große Veranstaltung) und was erschwerend hinzukommt: Wir befinden uns in Kiel. Oder lag es am Eintrittspreis ?


Philipp: Beides wird verblüffenderweise klar mit JA beantwortet. Die Bühne ist vollgestopft mit zwei Drumsets und ca. 100 Tretminen, was schon ohne Musiker_innen beeindruckend rüberkommt… Nur trudelt der Mob zunächst spärlich ein, das mit dem Platz scheint sich von selbst zu erledigen. Wir kippen unsere Getränke in Becher und hängen draußen ab, wo langsam die üblichen Verdächtigen eintreffen und sich ein reger Nerd-Talk entwickelt.


Philipp: LAZER/WULF haben schon mal einen frechen Namen. Die drei Typen tragen Shirts von PESTILENCE, REFUSED – und hat der Schlagzeuger tatsächlich eins von DEFLESHED an? Damit sind verrückterweise tatsächlich einige Eckpunkte im Sound der Band benannt, auch wenn LAZER/WULF auf Gesang weitestgehend verzichten. Der Gitarrist grunzt und schreit ab und zu was ins Mikro, ansonsten gibt es ‘ne schön gestörte Instrumental-Abfahrt. Die hektischen Bassläufe könnte man sich teilweise wirklich bei PESTILENCE vorstellen, das frickelige Geriffe atmet den Spirit experimenteller Hardcorebands der 90er, die aus den bekannten Pfaden auszubrechen suchten. Ihr könnt aber auch unzählige andere Vergleiche heranziehen… Jazziger Math-Thrash? Whatever. Mir macht der Irrsinn vor allem dann Spaß, wenn sich das Trio völlig in seiner Musik zu verlieren scheint, jeder Einzelne für sich irre Grimassen schneidet oder in plötzliche Veitstänze verfällt. Live sehr sehenswert, eine Platte müsste ich davon allerdings erst mal nicht haben.


Olli: Zu LAZER/WULF kann ich aus meiner Sicht nur sagen, dass die Jungs garantiert ihre Instrumente beherrschen und ganz bestimmt tolle Musiker sind. Aber das alleine reicht mir hier nicht oder ist es vielleicht sogar der Grund, warum mir die Musik einfach nicht ins Ohr will? Mir wirkt das Ganze einfach zu verspielt und zu sehr auf sich selbst fixiert. Teilweise ballern schon tolle Riffs, die aber durch die extrem „verspielten“ Parts „verschluckt“ werden. Insgesamt find ich es zu unruhig und für meine Ohren fehlt der rote Faden. Vielleicht liegt es auch an der hohen Messlatte, die KYLESA nun mal setzen. Nach einigen Songs habe ich genug und widme mich dem Merchstand, an dem auch eine kleine, aber sehr feine Plattenkiste stand. Mich hat es doch dann äußerst überrascht dort eine Scheibe der Einstürzenden Neubauten zu finden und zwar die „Fünf auf der nach obenen Richterskala“. Eine Meisterwerk der Musikgeschichte, das ich mir auch gleich zulegte (hier nochmal vielen Dank an den Metalson, der den Rest des Abends das geniale Teil hütete).


Philipp: Da ist die Plattenkiste am KYLESA-Merchstand interessanter. Hier finden sich Vinyls aus der privaten Sammlung von Laura Pleasants, die sie aus welchen Gründen auch immer veräußert. Ich ernte die ENGANGSGRILL-LP ab, eine völlig durchgeknallte Kollaboration von Fenriz und Nattefrost, eine Mischung aus Ur-Doom und Asi-Punk. Der Bandname bedeutet übrigens finstererweise wirklich EINGANGSGRILL.


Philipp: TRIP-O-MAT! KYLESA sind zwar nicht ganz günstig heute (Ticket über 20,- Euro), aber ich denke, dass keine_r der dann doch noch recht zahlreich erscheinenden Besucher_innen enttäuscht ist oder das Gefühl hat, man habe nicht genug geboten bekommen. Denn KYLESA kleckern nicht, sondern klotzen mit mächtigen Sounds, psychedelischer Lightshow und dem Einsatz abgefahrener Effekte. Ich seh zufällig, dass ein Typ an der Lichtanlage steht, der seine Hand über eine Art Projektorfläche bewegt. Das Ergebnis sind wandernde Farben und Formen, welche natürlich groß in den Bühnenhintergrund gebeamt werden und immer an den jeweiligen Songpart angepasst werden können. Der Typ spielt also in einem gewissen Sinne die ganze Zeit mit. Wer mehr darüber wissen möchte, gucke mal auf http://www.planetaryprojections.com – die Technik nennt sich „hand done liquid light techniques“ und hat ihre Wurzeln in psychedelischen Rockshows der 60er. Interessant natürlich auch die beiden Drummer, die man heute mal ausnächster Nähe begucken kann. Tatsächlich spielen die beiden nicht vollständig identische Figuren und der Typ links benutzt zum Teil Sticks mit Filzaufsetzern. Nun, die Wirkung ist dennoch sicher eher unterschwellig zu merken, aber auch das macht ja was aus. Im Vordergrund ackern Phillip Cope (g/v), Laura Pleasants (g/v) und Corey Barhorst (b/v) im Spanungsfeld zwischen manischer und routinierter Darbietung. Die Riffgebirge schrieben sich massiv über unsere Köpfe, die Rhythmen zwingen zum Bangen und die Melodien entfachen bei mir immer wieder Gänsehaut. Geil auch, dass Cope bei einigen Stücken so ein Theremin spielt – dieses Ding, was wie eine Antenne aussieht und elektromagnetisch funktioniert, dabei ohne direkte Berührung gezockt wird – allein die Positionen der Hände erzeugen ‘ne Art Wabern (bekannt z.B. bei Jimmy Page). Als ob die Band nicht schon wuchtig und psychedelisch genug ist, wummert das Ding mir den Restverstand auch noch raus! Die Playlist konzentriert sich zunächst auf die beiden letzten Longplayer „Ultra-Violet“ und „Spiral Shadow“, aber am Ende kommen gleich fünf feiste Biester von meiner Lieblingsplatte „Static Tensions“. (was angesichts von sieben Alben und diverser EPs zeigt, dass die Band diese LP offenbar auch sehr mag).


Olli: So, endlich KYLESA auf der Bühne und ohne großes Gerede knallt der erste Song aus der Anlage und erzeugt bei mir gleich dieses Gefühl in eine neue psychedelische Klangwelt abzutauchen. Diese Band sprengt wirklich den Rahmen des Beschreibbaren. Heftigst geiler Gitarrensound gekoppelt an einen „Teppich“ von Effektgeräten, geilster Drumsound der beiden Drummer und dazu der völlig geniale, sehr gefühlvolle Gesang von Laura Pleasants, abgerundet durch die super geil integrierte Lightshow lassen eine Mischung aus Gänsehaut und Wohlgefühl aufkommen. Die Einflüsse dieser Band reichen von Psychedelic Rock über Punk bis hin zu Industrial-Music. Wovon auch die Shirts zeugen, die von den Bandmitgliedern getragen werden. Laura trägt ein Blondie-Shirt, was ich schon mal ziemlich cool finde und der Bassist hat doch tatsächlich ein Psychick – TV Shirt an. Wer hätte das gedacht! Sind Psychick– TV doch eins der abgefahrensten Bandprojekte des letzten Jahrhunderts um den Mitbegründer der legendären Industrial Band „Throbbing Gristel“ Genesis P. Orridge. Und jetzt kommts: Einer der beiden Schlagzeuger spielt doch tatsächlich auch bei Psychick – TV Schlagzeug! Dies wurde mir von Laura in einem sehr netten und entspannten Gespräch nach der Show erzählt!

Philipp: Der Abend endet mit einem mindestens zehnminütigem Lackkrampf meinerseits. Als Olli gerade zum zehnten Mal von seiner gestrigen Dröhnung im Schrevenpark erzählt, kommt Jan ML längs und rotzt neugierig dazwischen: "Was ist gestern?" Hm, hört sich jetzt voll nicht mehr lustig an.  

Philipp: Für Playlist-Nerds:

INTRO

TIRED CLIMB

FORSAKEN

DON’T LOOK BACK

QUICKSAND

UNSPOKEN

LONG GONE

WE’RE TAKING THIS

HOLLOW SEVERER

UNKNOWN AWARENESS

SCAPEGOATS

RUNNING RED

NATURES PREDATORS

SAID AND DONE







Kommentare   

+1 #5 Matt 2014-07-07 16:26
LAZER/WULF waren ein ziemlicher Hammer! Technisch hohes Niveau bedeutet ja oft keine Seele und man kann auch nicht länger als 10 Minuten folgen, dann muss man dringend auf den Pott, Bier holen oder ähnliches. Aber nix da, die Jungs waren fesselnd, auf den Punkt und dabei mitreissend. Hammerüberraschung!

Zu KYLESA kann ich nicht mehr viel zufügen, möchte aber doch nochmal die hypnotische Wirkung aus dem Gesamtkunstwerk betonen. Bei dieser Mischung aus doppelten dunklen Drums (die eher niederschwellig im Bauch als im Ohr stattfinden), Lightshow bzw. Visualisierungsshow und Effekten kam man sich schon vor als wäre man auf einer dunklen, heißen, geheimen Voodooveranstaltung gelandet - nur mit besserer Musik. Ganz großes Kino.
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+1 #4 Philipp 2014-07-07 11:05
Das ist natürlich noch finsterer, denn die Dinger hinterlassen ja nur verbrannte Erde.
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+1 #3 JabJab 2014-07-07 08:08
Engangsgrill bedeutet Einmalgrill. Also diese dämlichen Aluschalenteile.
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+1 #2 MetalSon 2014-07-04 12:59
Sehr guter Bericht.
Bei dem "Was ist gestern?" muss man auch dabei gewesen sein. Es war ja hauptsächlich aufgrund der trockenen Betonung lustig. Aber so lustig, wie ihr das an dem Abend fandet, war es nicht :D
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+1 #1 KOMA 2014-07-04 09:50
:D

toller Bericht! Schade dass ich das verpasst habe!
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