WACKEN OPEN AIR XXIII / 04.08.2012 – Wacken, Tag 3

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Auch wenn wir davon natürlich erst nach dem Festival erfahren, sollte der tragische Tod eines Festivalbesuchers hier nicht unerwähnt bleiben. Der 22-jährige Michael-Andreas Haringer verstarb offenbar aufgrund einer Kohlenmonoxidvergiftung. R.I.P.! In der Nähe seines Schlafplatzes habe nach Presseangaben ein Notstromaggregat gestanden, dessen Abgase vom Wind unter die Plane getrieben worden seien, unter welcher er geschlafen habe. Ich weiß nicht, ob ein Verbot dieser Aggregate eine praktikable Idee wäre. Auf jeden Fall gibt es ein Spendenkonto, um der Familie zu helfen, Überschüsse gehen an ein Kriseninterventionsteam:

Empfänger: Jürgen Seeburger
Kto.Nr. 202566745
BLZ: 71061009
VR-Meine Raiffeisenbank
Verwendungszweck Michael Haringer

Buxe of death

Bericht von Toffi, Leif, Strecker, Stefan & Philipp. Bilder von Cindy Gusinski, Leif & Andi Harkonnen.

 

 

HENRY ROLLINS

Toffi: Neuer Tag, neue Show? Ich hoffe darauf, als wir erneut zu Henry Rollins ins Zelt pilgern, befürchte aber insgeheim, dass uns doch nur eine Wiederholung des gestrigen Programmes geboten wird. Aber weit gefehlt! Tatsächlich gibt es ein komplett ungehörtes Sammelsurium an abgefahrenen Storys, zwar wieder im selben thematischen Rahmen (National Geographic/Reiseberichte/Banderlebnisse) aber inhaltlich keinerlei Überschneidungen. Ich bin ein weiteres Mal schwer beeindruckt und stapfe daraufhin guten Mutes durch die schier endlos scheinende Schlammwüste zu Napalm Death.

Philipp: Mann, das vielleicht größte Highlight des Festivals ist uns gleich zweimal vergönnt! Und wie bereits erwähnt, wiederholt sich HENRY ROLLINS nicht mal im Ansatz. Wenn man mir die Pistole vor die Brust setzte und ich mich entscheiden müsste, welcher der beiden Auftritte mir besser gefallen habe, so würde ich vielleicht den ersten wählen. Aber auch heute haut ROLLINS mich schlichtweg um! Ausgehend von Geschichten aus seiner Kindheit und der Erkenntnis, dass ihm Musik mehr bedeutet als sein abgefuckter Dad (die Beschreibung, wie er das erste Mal BLACK SABBATH hört – göttlich!), spricht HR über die generelle Relevanz von Musik als verbindendes Element und landet erneut bei Reiseerlebnissen. Warnungen wie „das tut man nicht“ oder „geh nicht in diese Dritte-Welt-Zeltstadt!“ scheinen für Rollins nur zu existieren, um sie nicht zu beachten. Abermals bleibt man inspiriert zurück und hat das Gefühl, etwas Wertvolles mitzunehmen.

Strecker: Der Samstag beginnt recht entspannt mit einer Dusche, Kaffee und Brötchen. Die Stärkung muss auch sein, denn heute spielen die meisten Bands, die ich sehen will. Auf Grund der Empfehlung von Philipp ist der erste Anlaufpunkt die Headbangers Stage, auf der Henry Rollins eine Spoken Words Performance abhält. Im Vergleich zu Danko Jones wirkt Henry Rollins dabei viel freier und spontaner. Auf sehr sympathische und unterhaltsame Art erzählt Henry Rollins unter anderem von seiner Teilnahme beim Alligator Wrestling. Es werden zwar auch ernstere Themen angesprochen, die aber immer mit einem gewissen Humor unterlegt sind und so vergeht die Stunde richtig schnell.

Stefan: Nachdem ich mich am Freitag noch gegen Henry Rollins entschieden habe, beginne ich den Samstag, auch wegen der positiven Erzählungen von Philipp, Leif und Toffi, mit Henry Rollins. Irgendwann vor ca. 10 Jahren hatte ich schon mal eine Spoken-Word-Performance von ihm in Hamburg gesehen und wie schon damals bin ich sehr begeistert. Äußerst unterhaltsame Erzählungen aus  seinem Leben, die einem zum Lachen aber auch zum Nachdenken bringen. Im Gegensatz zu Danko auch frei vorgetragen und wohl auch deshalb um einiges überzeugender. Absolut empfehlenswert.

 

NAPALM DEATH

Wasdat

Strecker: Für uns heißt es jetzt auch wieder schnell sein. In 15 Minuten wollen wir vor der Black Stage stehen und Napalm Death gucken. Hätten wir eigentlich auch geschafft, nur erfüllen einige Secureties ihre Aufgabe sehr gewissenhaft und es werden u.a. eine Dose Kaugummis und ein Verpackung für einen Regencape genau untersucht. Einfach nicht drüber nachdenken und auf Napalm Death freuen, die sich wie immer richtig ins Zeug legen und ein überzeugendes Konzert bieten.

Philipp: Schnell eilen wir die vermatschten Wege zurück aufs Hauptgelände. NAPALM DEATH blasen mir fast die Birne weg, so LAUT dreschen sie aus der PA. Barney scheint heute besonders gut gelaunt zu sein, spackt noch mehr als sonst über die Bühne und lacht sich fast schlapp, als ihm nicht einfällt, wie der Song heißt, den er gerade ansagen will. Klare Statements gegen Faschos sind bei Metalkonzerten ja immer Balsam für die Seele, vor allem wenn sich Tausende dazu solidarisch zeigen und „Nazi Punks Fuck Off!“ mitbrüllen. Ansonsten bleiben mir „Everyday Pox“, „When All Is Said And Done“, „Suffer The Children“, “You Suffer”, “Instinct Of Survival” intensiv im Gedächtnis. Und natürlich “Scum”, welches Barney mit der Bemerkung ankündigt, dass dieser Song jetzt 31 Jahre auf dem Buckel habe. Unfassbar eigentlich…

Toffi: Die Erinnerungen ans Wilwarin sind noch frisch, wo die Band nachts als Headliner auf verhältnismäßig „kleiner“ Bühne einen tobenden Mob entfesselte, der dem SCHEISSE MINELLI Drummer sogar einen ungewollten Aufenthalt im Krankenhaus von Shelbyville bescheren sollte. Umso mehr bin ich gespannt wie NAPALM DEATH jetzt vor großem Publikum wirken. Fazit: Beides irgendwie geil! Die Größe der Hauptbühne scheint für Sänger Barney keine Rolle zu spielen, er zappelt während den Songs derart heftig umher, dass es scheint, er wäre überall gleichzeitig. Dabei versprüht die ganze Band derart viel Witz und Spielfreude, dass der aus musikalischer Sicht ja eigentlich brutale Auftritt am Ende komplett familientauglich wirkt. Zusätzliche Sympathie ernten die Jungs bei mir durch ihre klare politische Haltung. Leider das einzige Mal, dass ich auf dem Festival deutlich geäußerte Statements gegen Nazis mitbekomme.

Stefan: Nun geht zum x-ten Mal im Eiltempo zurück zur Blackstage, wo Napalm Death bei knackiger Lautstärke ordentlich Spaß haben. Barney nutzt die Bühnengröße für die ihm eigene Motorik. Erstaunlich, dass er sich nicht selber mal ausknockt. Musikalisch gibt es einen gelungenen Mix aus alt und neu. Geiler Auftritt.

 

AXEL RUDI PELL

Kuh

Philipp: Ja, da guckt ihr. Aber ich bekenne mich hier und heute dazu, ALLE AXEL-RUDI-PELL-Alben in meiner Sammlung stehen zu haben! Und warum? Weil coole Musik druff ist, ihr Poser… Live zündet die Scheiße glatt noch mehr, zumal Johnny Gioeli klasse singt und Mister Pell erbarmungslos seine Gitarre schält. Mit dem Uptempokracher „Ghost In The Black“ geht es furios los, es folgen „Strong As A Rock“, „Before I Die“ und ein Medley aus „The Masquerade Ball“ (geil!), „Casbah“, „Whole Lotta Love“ und „Dreaming Dead“. Besonders die geschmackvoll umgesetzten RAINBOW-Einflüsse kicken mich, auch wenn ich zugeben muss, dass Songtitel und Rockstaransagen schon ein wenig abgeschmackt und klischeehaft kommen. Nach einer halben Stunde müssen wir aber auch leider weiter, da KYLESA rufen, die wir alle tatsächlich noch nie gesehen haben. Von weitem meine ich noch ein „Mistreated“-Cover zu vernehmen. Pellös!

Stefan: Auch ich oute mich hier als Axel Rudi Pell-Fan. Ich besitze zwar nicht alle Platten, bin aber vor allem auf Grund von Johnny Gioeli ein Fan der Band. Ich halte ihn für einen exzellenten Sänger/Frontmann, der das ohnehin gute an Rainbow orientierte Songmaterial nochmal aufwertet. Mal wieder ein gelungener Auftritt, den ich mit Philipp allerdings nach einer knappen halben Stunde verlasse, um mir die vielfach gepriesenen Kylesa anzuschauen.

Toffi: Während sich große Teile des Dremu-Mobs dazu entschließen, den lieblichen Klängen von Axel, Rudi und Pell zu lauschen, gehe ich lieber mit Andy und Strecker auf die Jagd nach Frühstück. Andy und ich finden unser Glück in Form von Burritos, die auch „normal“ scharf schon gut Hitze entwickeln, Strecker zieht mit eher fadem Backfisch die Niete, dafür gibt es zum Nachtisch Chili. Jammjamm!

 

KYLESA

Philipp: ENDLICH sehe ich diese Band! Und WAAAAAH! – was sind die auch live geil! Die letzten drei Platten haben mich schon sehr begeistert, aber erst der leibhaftige Eindruck der Band lässt mich vollends in das KYLESA-Universum eintauchen und mich die Band ganzheitlich „verstehen“, wenn ihr wisst, was ich meine. Bei KYLESA geht es meines Erachtens mehr um den Gesamteffekt, durch hypnotische Rhythmen und Melodien den Hörer in eine Art Trance zu versetzen. Drei Sänger_innen und zwei Schlagzeuger odnen sich diesem Ziel derart gelungen unter, dass ich bereits beim Opener „Tired Climb“ abgehe und um meinen in den Boden gerammten Regenschirm herumtanze. Weitere Songtitel kann ich nicht nennen, da nicht im Stande bin, mir während dieses Auftritts Notizen zu machen. Die Stunde vergeht viel zu schnell, die Realität hat uns wieder, die wir erstaunt unsere Augen reiben, als hätte dort gerade dat Sandmännchen seinen Ronz hineingestreut.

Strecker: Nun ist etwas Zeit, bevor es mit Kylesa im Zelt weitergehen soll und wir nutzen die Zeit, um uns etwas zu stärken und was zu essen. Pünktlich zu Kylesa sind wir dann im Zelt, das überraschend voll ist. Die Band hat sich wohl überlegt, dass die eher im Hardcorebereich angesiedelten Songs aus den Anfangstagen besser ankommen als die psychedelischen Songs der Neuzeit (Anm. Philipp: Totaler Tipp: Die ersten Platten sind gerade auf Vinyl über Alternative Tentacles wiederveröffentlicht worden. Find ich übrigens stilistisch nicht weniger psychedelisch). Passt gut und führt dazu, dass wir Zeuge des Wolterschen Stocktanzes wurden. Im Kreis rennen und vor sich den Regenschirm in den Schlamm hauen. Sehr gut. Hätte ich gern etwas länger gesehen. Also sowohl Band wie auch die Tanzeinlage.

Toffi: Im Januar durfte ich die KYLESA-Show im bis unter die Decke ausverkauften Logo fotografieren, von der Musik blieb da nicht sehr viel hängen und unterm Strich war es eher stressig. Heute, ohne Kamera und mit deutlich mehr Bewegungsfreiheit, ziehen sie mich recht fix in ihren Bann. Die Band schafft durch den Einsatz der beiden Schlagzeuger und den abwechslungsreichen Gesang aber auch eine krasse Atmosphäre. Für mich eines der Highlights des Festivals! Lesenswert übrigens auch das recht tief grabende Interview mit Schlagzeuger und Keyboarder Tyler Newberry im aktuellen Trust Fanzine (Anm. Philipp: Yeah!).

Stefan: Also wieder zurück im Zelt. Mal wieder habe ich mich dazu entschlossen, mich auf die Tipps unserer Dremugruppe zu verlassen und mir eine Band anzuschauen, von der ich bisher noch nicht mal den Namen kannte. Ich bin erfreut festzustellen, dass durchaus musikalischer Fachverstand vorhanden ist. Zwei Schlagzeuger, 3 Sänger-innen und ein musikalischer Mix aus Hardcore, Doom und Psychedelic-Rock. Die Band spielt den Mob so dermaßen in einen Rausch, dass ein gewisser Herr Wolter spontan einen Regenschirmtanz aufführt. Nicht nur deshalb muss ich mich mit dieser Band mal näher befassen.

Philipp: Die danach eigentlich angekündigten ELECTRIC WIZARD haben es offensichtlich staubedingt gar nicht zum Festival geschafft. Man will ja nichts Böses denken, aber die Vorstellung, wie die Band bekifft irgendwo verplant herumhängt, drängt sich einem ja schon auf…

 

SICK OF IT ALL

Philipp: Da ELECTRIC WIZWARD nun nicht spielen, erhebt sich die Frage, ob man SIX FEET UNDER oder SICK OF IT ALL gucken sollte. Bisher hatte ich mich bei allen Überschneidungen jeweils für die Band entschieden, die ich seltener gesehen habe. Aber irgendwie hab ich spontan etwas mehr Bock auf SICK OF IT ALL. Es ist wie bei NAPALM DEATH: Diese beiden Bands sind live einfach IMMER grandios. Auch heute erweisen sich die Koller-Brüder & Co. als Gute-Laune-Garant. Der Matsch verhindert zwar größere Pits, aber die Party verläuft dennoch orgiastisch. Das Best-Of-Programm startet gleich mit „Good Lookin‘ Out“, führt über Stationen wie „Injustice System“, „Machete“, „Uprising Nation“, „Step Down“, „Die Alone“ (inkl. Mitsingspiel, haha!) und „Scratch The Surface“ und endet schließlich im finalen „Us Versus Them“. Besonders Pete Koller gibt mal wieder alles und springt, wetzt und dreht sich wie ein Gestörter auf der Bühne herum. Es gibt kein Vertun: Diese Band lebt und liebt jeden Auftritt, als wenn es ihr letzter wäre. Killer!

 

SIX FEET UNDER

Andy Hamkonnen

Toffi: Ich bin auf Festivals ja klarer Befürworter des Zwei-Bühnen-abwechselnde-Spielzeiten-Prinzips, so erspart man den BesucherInnen blöde Überschneidungen und alle Bands, auch unbekanntere Kisten, haben reelle Chancen auf ein stattliches Publikum. Der Wacken-Orga ist das vermutlich scheißegal, zerreißen kann ich mich nicht, so entscheide ich mich schweren Herzens für die jahrelang nicht gehörten SIX FEET UNDER und gegen SICK OF IT ALL. Die zugequarzten Leichenbestatter bieten dann auch solides Entertainment, das Quiecken zwischen den Growls sorgt für sich aufrollende Fußnägel im vermatschten Turnschuh und die Playlist beinhaltet diverse blutige Hits wie "Victim of the paraniod" oder "No warning shot". Herr Barnes wird in gewohnt übertriebener Manier seinem Image gerecht („I wanna see you bleed next time...“), ist aber auch für Spaß zu haben. („Scream motherfuckers...“ - *verhaltenes gröhl* - „Scream like they just ran out of beer!“ - *GRÖÖÖHL* - „...I thought so.“) Als Zugabe gibt’s noch das TNT Cover. 7 von 10 mit Hirnmasse besudelten OCB-Longpapers.

Stefan: Da es Electric Wizard nicht geschafft haben, pünktlich nach Wacken zu kommen, geht es wieder zurück zur Black-Stage für eine ordentliche Dosis Death Metal. Den Anfang verpassen wir zwar, danach fällt aber sofort auf, dass Six Feet Under in der neuen Besetzung wieder erheblich frischer klingen als in den vergangenen Jahren. Es wird nicht mehr ausschließlich im Midtempobereich gezockt, sondern auch mal wieder aufs Gaspedal gedrückt. So kommt man mal wieder in den Genuss‚ „Hammer Smashed Face“ zu hören. Da das aktuelle Album auch wieder stärker geworden ist, scheint die Band ihren 2. Frühling zu erleben.

Strecker: Six Feet Under spielen bereits, als wir wieder bei der Black Stage sind. Durch unser späteres Erscheinen stehen wir relativ weit hinten und können das Meiste leider nur über die Leinwand verfolgen. Trotzdem verbreitet die Band gute Laune und neben eigenen Songs gibt es auch was von Cannibal Corpse und AC/DC zu hören. Ich hätte mir ja Blackout im Duett mit Klaus Meine gewünscht. Dieser Wunsch bleibt leider unerfüllt. Es ist trotzdem ein gelungenes Konzert und eine gute Einstimmung auf Testament, die nun folgen sollen.

 

TESTAMENT

Stefan: Als Testament die Bühne betreten, muss ich anfangs zwei- dreimal genau hingucken. Ist diese schlanke und erstaunlich jung aussehende Person am Schlagzeug wirklich Gene Hoglan? Nachdem er anfängt zu spielen, bestehen allerdings keinerlei Zweifel mehr. In gewohnter Manier prügelt er lässig auf sein Drumkit ein, während Alex Skolnick mal wieder unter Beweis stellt, dass er eigentlich beim Thrash Metal unterfordert ist. Auf Grund der eingeschränkten Spielzeit können zwar nicht alle Hits gespielt werden, trotzdem eine gelungene Setlist aus vier neuen Songs (sehr geil: „Native Blood“!!!) und alten Hits wie bspw. „Over The Wall“ oder „Practice What You Preach“.

Philipp: Ich find’s immer wieder krass, wenn man in Wacken von einer Bühne zur nächsten geht und an gut besetzten Festivaltagen mehrere Hochkaräter direkt nacheinander sieht. Eigentlich müsste das zu viel für mein kleines Hirn sein. Aber wie ihr seht, hat es sich nicht überhitzt. Dabei tun TESTAMENT alles dafür und kredenzen ein monströses Set. Chuck Billy ist hervorragend bei Stimme, der deutlich erschlankte Gene Hoglan prügelt die Scheiße aus seinem Schlagzeug und Alex Skolnick will offenbar bei jungen Nachwuchsschreddern das im Peter-Bursch-Lehrgang gewonnene Selbstvertrauen zu Staub zermahlen. Gleich vier neue Songs finden den Weg in die Setlist – „Rise Up“, „Native Blood“ (herrliche Melodien und schön schnell), „True American Hate“ sowie „Dark Roots Of Earth“. Ist ja auch ‘ne gute Platte. Dennoch rufen Songs, die seit Jahrzehnten in den Hirnen der Hörer_innen wüten, natürlich noch mehr Emotionen hervor: „Over The Wall“, „Into The Pit“, „Practice What You Preach“ oder „The Preacher“ flutschen schneller runter als die emsigen Bier Boys durch den Matsch krauten können. „Fuck the rain!“, brüllt Chuck Billy, was nicht nur mich an die erste Europashow von TESTAMENT 1987 auf dem Dynamo Festival erinnert. Damals wie heute reagieren die Freaks recht gelassen auf den Regen (bzw. den Matsch) – Hauptsache Thrrrrrrrrrrrrrrrrrrrash! Am Ende werden noch große „Free Randy!“-Banner enthüllt, um sich dem in der Tschechischen Republik verhafteten LAMB-OF-GOD-Sänger solidarisch zu zeigen.

Strecker: Testament zeigen dann vielen jungen Thrash-Bands, wie es richtig geht. Mit einer gelungenen Setlist, die eine Mischung aus neuen und alten Songs enthält, weiß die Band zu überzeugen. Testament präsentieren sich spielfreudig und vor allem Gitarrist Alex Skolnick weiß durch sein Können zu überzeugen.

Toffi: Mit TESTAMENT wartet sozusagen ein ungeschütteltes Überraschungsei auf mich. Einfach mal beim Rest mitgelatscht, hab ich keine Ahnung was mich erwartet, fühle mich dann aber doch gut unterhalten. Muss zeitweise an MOTÖRHEAD denken, während der Sänger in seiner stilecht mit Patches verzierten Rockerkutte auf dem Bühne rumpost und die Soli auf dem Mikroständer (oder eher Griff) mindestens so sicher runterfrickelt wie die Gitarristen. Als zwischenzeitlich die Sonne durch die Regenwolken blinzelt hat die coole Sau auch direkt das getönte Gegenmittel auf der Nase. Live zugegebenermaßen großes Kino, auf Platte wäre es vermutlich nicht so meins.

Philipp: DARK FUNERAL müssen leider der einzigen Chance geopfert werden, heute eine kurze Pause einzulegen, um mal was zu essen. Schade, hätte mich interessiert, wie sich Nachtgarm dort schlägt! CRADLE OF FILTH sind der Soundtrack zur Grillung – klingt nicht wirklich schön…

 

NASUM

Toffi: Nach längerem Camp-Aufenthalt geht's mittelschwer angeminzt zu NASUM ins Zelt. Auch hier mittlerweile Bodenverhältnisse wie im Nationalpark Wattenmeer. Aus Richtung Bühne schwappen Wogen aus brachialem Geballer. Schon mehr als gut, aber auch weniger als super. Vermutlich fehlen mir die Haare für sowas.

Stefan: Nach einer kleinen Verschnaufpause geht es zurück ins Zelt, um Nasum zu sehen. Songtitel entnimmt man bitte Philipps Bericht, das ging alles zu schnell für mich. Wenn es Kritiker an dieser Reunion-/Tributetour gegeben hat, dann sind diese nach dieser Show bestimmt verstummt. Der Rotten Sound –Sänger macht seine Sache, wie auch der Rest der Band,  wirklich gut. So muß Grindcore klingen. Ende September nochmal mit Black Breath im Logo in Hamburg.

Philipp: Es gibt ja durchaus Stimmen, welche eine NASUM-Tour ohne den 2004 verstorbenen Sänger Mieszko Talarczyk für boykottierenswert halten. Soweit ich weiß, bezeichnen die Musiker diese Tour als Tribute-Tour zum zwanzigjährigen Bestehen der Band. Und auch wenn es sich manche nicht vorstellen können: Es soll Leute geben, die NASUM nicht kennen oder zumindest noch nie live gesehen haben. Wenn ich mitbekomme, wie sich mehrere Personen nach dem Auftritt vornehmen, sich ordentlich mit NASUM-Tonträgern einzudecken, dann muss ich sagen, dass diese Aktion einen positiven Effekt hat. Spaß macht die Grindattacke allemal! Keijo Niinimaa (ROTTEN SOUND) macht den Job hervorragend, der Rest hat natürlich nichts verlernt. Man hackt und grindet sich durch den Backkatalog, der eigentlich nur Großartigkeiten enthält – „Shadows“, „Multinational Murderers Network“, „I See Lies“, „Time To Act“, „The Black Swarm“ oder das unvermeidliche „Inhale/Exhale“ sorgen für Gewimmel im Zelt. Wer’s verpasst hat, sollte zur Strafe die gesamte „Grind Finale“-Vierer-LP-Compilation am Stück durchhören müssen!

Strecker: Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es wieder Richtung Zelt, in dem Nasum eines ihrer letzten Konzerte spielen. Für die Abschiedstour konnte Rotten-Sound-Sänger Keijo Niinimaa verpflichtet werden und der bietet eine wirklich gute Leistung. Der Rest der Band auch und selbst einige technische Probleme, können von Nasum überspielt werden, so dass das Konzert für mich zu einem Highlight wird. Schade, dass sich die Band auflöst, aber Ende September spielen Nasum noch mal in Hamburg. Da muss ich hin.

 

SCORPIONS

Spaß bei den SCORPIONS

Leif: Da meine erste Scorpions-Show vermutlich auch die letzte sein wird, beschließe ich, mir HIER und HEUTE das VOLLE, sonnenbebrillte Klaus-Meine-Internationaler-Rockstar-Kanzlerkumpel-Brett zu geben und bis zum verdammten HURRICANE durchzuhalten, auch wenn alles um mich herum Matsch wird und wegschwimmt und harte Scorpions-Fans in Scharen nach Hause rennen like a Hurricane, weil es wirklich sehr stark regnet – es ist mir EGAL, denn ich will den Hurricane hören - „Come rain, come shine“, um es mal mit den Worten von Klaus Meine zu sagen! Und mein Wacken, äh… Warten wird belohnt, denn wer will im Pavillon sitzen, wenn ein Spinäl-Täp-Moment den nächsten jagt und vier Heavy-Metal-Go-Go-Girls sich zu den Klängen von „Coming Home“ lachend FLEX-Elektroschleifgeräte in den Schritt halten, um damit für Rudolf und Klaus Funken-Phalli zu produzieren und immer wenn du denkst, mehr kann nicht gehen, dir jemand auf die Schulter tippt, mit Worten wie:“Alter! Seh ich das richtig oder wirft der SÄNGER gerade die ganze Zeit mit Schlagzeugsticks??!“. DAS gibt’s nicht bei Thomas Gottschalk, DAS bewahrt man sich für Wacken auf! Okay… einmal Scorpions reicht dann aber auch.

Toffi: What the fuck?! Beim Einen war es die erste gekaufte Platte, der Andere schiebt's auf seine Eltern... Bei mir liegt es vermutlich am fortgeschrittenen Stadium der Minzevergiftung, dass ich plötzlich mit tausenden Menschen im knöcheltiefen Modder stehe und auf die SCORPIONS warte. Während die wahren Ultras sich schon mal warmpfeifen, quasselt Andy im Brausebrand australische Touristen voll. Zum versprochenen Wind-Of-Chance-Rollstuhl-Crowdsurf soll es dann aber nicht mehr kommen, denn der Wind treibt am Ende nur weiteren Regen übers Land und der kommt so erbarmungslos, dass selbst Theo den Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen kann. Mittendrin überkommt mich das Gefühl, es pisse mir irgendein langhaariger Vollasi auf den Schuh! Aber das hab ich mir im Rausch der Gefühle, die Klaus Meine mit seiner funkelnden Aura in mit entfacht, wohl nur eingebildet.

Philipp: Kurioserweise schmuggeln die Wacken-Menschen der Band einen Artikel unter – überall werden THE SCORPIONS angekündigt… Ein schlechtes Omen? Tatsächlich ist der SCORPIONS-Auftritt eine ganz schwache Nummer. Für die sich hintertückisch im Dunkeln anschleichenden Regenwolken kann die Band zwar ebenso wenig wie (wahrscheinlich) für den viel zu leisen Gesamtsound. Aber für die langweilige Playlist (KEINE Stücke von den ersten sechs Platten) und vor allem für die sehr blasse, emotionsarme Präsentation umso mehr. So richtig gut klingt Klaus Meine zudem nicht. Vom 2006er Auftritt der SCORPIONS in Wacken habe ich deutlich bessere Erinnerungen, auch wenn ich damals nur kurz reingeschaut hatte. Der Schlagzeuger James Kottak hat seinen eigenen Nachnamen gleich auf die Bassdrum und auf seinen Bauch klatschen lassen. Vielleicht damit er nicht vergisst, wo er hingehört? Alles komisch hier. Warum ich trotzdem einen Heidenspaß habe? Die Antwort liegt im völlig verminzten Strecker, der mit geschlossenen Augen die traurige Realität ausblendet und JEDEN Song auswendig und Luftschlagzeug spielend mitsingt… Ach ja, und dass Andi Harkonnen dem armen Toffi während der Show auf die Füße uriniert, ist ein hiermit dokumentierter Fakt!

Strecker: Auf Nasum folgen dann die Scorpions, auf die ich mich gefreut hatte und da das Konzert als letzte Open Air Show der Band angekündigt wurde, hatte ich einiges erwartet. Leider werden meine Erwartungen nicht erfüllt. Gerade zu Anfang des Konzerts wirkt die Band eher lustlos und spult ihr Programm nur routiniert ab. Als es wieder anfängt zu regnen, habe ich genug und gehe vorzeitig zurück zum Camp, um noch mal eine kurze Pause zu machen.

Stefan: Strecker und ich sind in unserer Gruppe die einzigen, die die Scorpions wirklich sehen wollen. Leider werden wir enttäuscht. Erst mal ist es sehr leise, warum auch immer. Aber vor allem wirkt die Band ein bisschen zu routiniert. Und das aufgesetzte Showgehabe von James Kottak muss man auch nicht wirklich haben. Als dann auch wieder anfing in Strömen zu regnen, beschließen wir, dass es reicht. Schade auch, hätte gut werden können.

 

MACHINE HEAD

Kühl

Leif: Machine Head war Mitte der Neunziger eine der wenigen Bands, die mich mit ihrer unglaublich fetten „Burn my Eyes“-LP aus meinem Punkrock-Mikrokosmus zu reißen vermochten, weswegen ich sehr gespannt darauf bin, das Ganze schlappe 18 Jahre später endlich mal live erleben zu dürfen - und weil Samstag mein körperlich vergleichsweise fittester Tag ist, gelingt mir das sogar!
Pünktlich zum zweiten Song erreiche ich die True Metal Stage, suche mir eine Insel zum rumstehen und kriege mit „Old“ sofort den ersten Überhit vom Debütalbum um die Ohren geballert. Der Sound ist, wie bei allen anderen Wacken-Auftritten, die ich mir angucke, von Anfang an der HAMMER! Auch meine anfängliche Sorge, die Band könnte ohne den gefeuerten Chris Kontos am Schlagzeug irgendetwas an Qualität eingebüßt haben, stellt sich als völlig unbegründet heraus (zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich irgendwann in den 2000ern aufgehört habe, das Schaffen der Band mit zu verfolgen). Insgesamt füllen Machine Head die Hauptbühne mit ihrem kurzweiligen Thrash-Set verdammt gut aus und beweisen dabei zwischen den Songs irgendwie sogar sowas wie… Entertainer-Qualitäten. Für mich eine der sympathischsten Bands des Wochenendes. Bei „Davidian“ dürfen am Ende nochmal alle Kinder ganz laut „Let freedom ring with a shotgun blast“ rufen, bevor’s für mich, und wohl auch für die meisten anderen, rüber zu Ministry geht! Taper, taper…

Philipp: Ich bin kein großer MACHINE-HEAD-Fan. Die Alben finde ich überproduziert, VIO-LENCE waren sowieso besser und so weiter. Aber heute pusten mich Rob Flynn und seine Mitmaschinenköppe geradezu um! Gerade nach der blutarmen, lahmen und klischeehaften SCORPIONS-Show wirken die Oaklander erfrischend „echt“ und vital. Wären die Platten doch gerade im Gesangsbereich so produziert! Wo im Studio viel zu viele Spuren vollgeklatscht werden, klingen MACHINE HEAD heute mächtig, natürlich und roh zugleich. Rob Flynn macht richtig gute Ansagen – der Höhepunkt ist in meinen Augen erreicht, als er in der ersten Reihe einen Freak von zu Hause erkennt und diesem einen vollen Becher zuwerfen will. Zweimal misslingt der Wurf über den riesigen Fotograben, doch beim dritten Mal landet der Becher wirklich in den Pranken des anvisierten Mannes – und ist tatsächlich noch randvoll! Ein rundum überzeugender Auftritt, der eine Menge Energie versprüht!

Stefan: Nachdem mich Machine Head schon letztes Jahr in der Großen Freiheit überzeugt haben, bin ich heute restlos begeistert. Unglaublich, welche Entwicklung die Band in den letzten Jahren genommen hat. Seit Phil Demmel dabei ist, geht es stetig bergauf. Sehr gute Alben und meist überzeugende Auftritte. Heute stimmt bis auf die Bodenverhältnisse alles. Eine mächtige Soundwand und eine gut aufgelegte Band sind absolut headlinerwürdig.. Das abschließende „Davidian“ vernichtet alles.

Strecker: Pünktlich zu Machine Head bin ich dann zurück vor der Bühne. Im Vergleich zu den Scorpions zeigen Machine Head dann, wie man ein energiegeladenes Konzert spielt und die letzten Kräfte bei den Zuhörern mobilisiert. Das Set besteht zum überwiegenden Teil aus Songs der letzten beiden Alben, aber natürlich gibt es auch ein paar ältere Songs zu hören und ohne „Davidian“ hätten Machine Head den Abend nicht beenden dürfen. Sehr gutes Konzert.

Toffi: Durch den Regenguss während Klaus und seinen Mannen durchnässt bis auf die Unterhose, schleppe ich mich demoralisiert zurück ins Camp und der Abend wäre für mich an dieser Stelle gelaufen, würden mich die Anderen nicht fürsorglich mit Minze aufpeppeln, bis auch noch das letzte Fünkchen Verstand ausradiert ist. Also eine erneute Wattwanderung zurück auf das Gelände und MACHINE HEAD gucken. Entweder die Minze entfaltet mittlerweile psychoaktive Wirkung oder der Sound ist einfach mal perfekt! Saftigst böllert es aus den Boxen und auch Akustikeinlagen kommen lupenrein rüber. Neben dem Sound überzeugen die Maschinenköppe auch durch ihre Kommunikation mit dem Publikum. Es wird sich x-mal bedankt und honoriert, dass so viele Menschen stundenlang in Kälte, Regen und Matsch ausharren um Musik zu hören und im Gegensatz zum verkoksten Genäsel gewisser Ledermützenträger wirken die Ansagen hier authentisch. Knuffig auch der Versuch Getränkebecher heil ins Publikum zu werfen, was nach diversen Würfen auch wirklich gelingt. Zum krönenden Abschluss klingelt es dann noch mit der Schrotflinte.

 

MINISTRY

Leif: Und noch ´ne Band, die ich tatsächlich zum ersten Mal live sehe: Ministry! Angenehmer Nebeneffekt: Ich finde zufällig auf Anhieb Andi, Strecker und co. wieder! Ersterer macht schon einen völlig industrialisierten Eindruck ob der perfekten Darbietung des offenbar wieder quicklebendigen Al Jourgensen und seiner Band. Ich langweile mich keine Sekunde und freue mich über astrein komponierte Industrial/Metal-Hymnen, die in einem angepassteren Soundgewand locker beschissene Mtv-Welthits geworden wären. Zum Glück ist es nicht dazu gekommen. Verdammt GROSSARTIGE Musik ist das.

Strecker: Die für mich letzte Band des Festivals sind Ministry. Sehr sympathisch finde ich, dass sich Al Jourgensen mit dem Großteil des Publikums solidarisch erklärt und bereits reichlich angeschlagen wirkt und auch bei den Ansagen etwas lallt. Bei den Songs wie z.B.“Lies, Lies, Lies“, „Just One Fix“ und „Thieves“ ist davon aber nichts mehr zu merken. So wird es ein sehr lauter und schöner Abschluss des diesjährigen Wacken Open Airs.

Toffi: Die ersten Songs bieten noch ganz passables Industrialgesäge, aber nach einer Weile wird’s mir doch zu einheitsbreiig. Hinzu kommt die totale Reizüberflutung durch die Videoleinwände, auf denen passend zur Musik allerlei Klischee-Bilder in Form von Bush, Dollarnoten, Atompilzen, Hakenkreuzen und grellen Cartoons in Endlosschleife flackern. (Waren da wirklich Szenen aus Rambo 4 zu sehen?!) Nachdem Ronald McDonald im Hitlerkostüm den drei kleinen Schweinchen ihren dreiundzwanzigsten Schuss gesetzt hat, woran nur die Wallstreet-Banker Schuld sind, reißt mir dann doch der Geduldsfaden und meine Füße werden langsam aber sicher kalt. Ich bin nicht unbedingt traurig, als es vorbei ist.

Nach den Bands erwacht dann natürlich der Durst auf ein Gute-Nacht-Bier, zu späterer Stunde halte ich es für eine schlaue Idee, mein letztes Geld in sündhaft überteuerte Cocktails zu investieren und zu noch späterer Stunde erwische ich mich dabei, wie ich mir von Mexikanern selbstgebrannten Tequilla aus Becksflaschen andrehen lasse, bis wir vom Tresenpersonal aus dem VIP-Zelt gefegt werden. In der Tat erstaunlich mild das Zeug und immerhin nicht blind aus dem Zelt gepurzelt am nächsten Morgen.

 

WATAIN

Stefan: Die letzten Kräfte werden mobilisiert und ich schleppe mich zur Party-Stage. Dort erwartet mich dann mein persönliches Highlight des diesjährigen Wackenfestivals. Watain bieten ganz großes Kino. Das für Watain typische Bühnenbild aus brennenden Kerzen und Kreuzen bietet die perfekte Atmosphäre und der Sound ist großartig. Ein Hit reiht sich an den nächsten und die abschließende Coverversion von Dissections „The Somberlain“ rundet den Abend ab. Besser kann ein Festival nicht enden!

Philipp: Da ich MINISTRY häufiger als WATAIN gesehen habe und zudem die Reunion von Al Jourgensens Truppe etwas fadenscheinig finde, entscheide ich mich für die Schweden. Wohl keine andere Band des Festvals hat eine derart glückliche Hand für einen stimmungsvollen Bühnenaufbau. Überall brennende Kerzen und Flammen, dazu werden die Bandmitglieder nie stumpf durch Spots von vorn angestrahlt. Das hat Stil und trägt zu einer gelungenen Black-Metal-Abfahrt bei. Musikalisch gelingt die perfekte Balance aus Brachialität und sinistrer Melodieführung, ermöglicht nicht zuletzt durch den hervorragenden Sound. „Malfeitor“ lässt gleich die mittlerweile schmerzenden Füße vergessen, „Sworn To The Dark“, „Total Funeral“, „The Serpent’s Chalice“, „Devil’s Blood“, „Reaping Death“, „Stellarvore“ und „Hymn To Qayin“ werden in berauschenden Versionen dargeboten. Völlig geil auch das Cover von DISSECTIONs „The Somberlain“! Ob WATAIN privat tatsächlich an anti-kosmisches Gefasel glauben, sei dahingestellt, von rechten Idioten haben sie sich meines Wissens nach klar distanziert – als Musiker und Künstler sind sie in diesem Bereich des Black Metal derzeit unschlagbar.

Mir geht es danach genau wie Toffi, den ich im VIP-Zelt treffe. Die Party dauert, bis es hell ist und alle so langsam Wege finden müssen, mit ihren Karren aus dem Schlamm herauszukommen.

 

FAZITÖSES GEFASEL

Und Tschüß

Philipp: Jo, wie war Wacken 2012? Ich sach ma so: Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.

Huch, äh, falscher Text! Etwaigen Dremu-Neuleser_innen sei gesagt, dass unsere Reisegruppe in der Regel eher kleine Festivals besucht (Rd-Rock, Wilwarin, Keep It True, Headbanger’s Open Air…), ich persönlich liebe immer noch Konzerte in AZs am meisten, keine P.A., Instrumente direkt inne Fresse = top satisfaction. Dennoch: Einmal im Jahr dieses Megaspektakel in Wacken zu sehen, birgt ‘ne gewisse Faszination. Das nur zum Wertesystem, aus dem heraus ich hier urteile.

Es gab ja gerade anlässlich unseres Berichts zum letztjährigen Wacken Kritik an diversen Punkten. Jemand meinte zum Beispiel, das Festival sei „rechtsoffen“. Dieses Jahr war es eine Band namens WINTERFYLLETH, über die es im Vorfeld eine lange Diskussion gab. Ich hatte deswegen direkt an die Festivalleitung geschrieben und war überrascht, dass ich dann gleich an eine Gruppendiskussion der Orga per Mail eingebunden wurde. Man hat das Thema ernst genommen und sehr lange diskutiert. Eine erste kurze Stellungnahme der Band wurde nicht akzeptiert. Die mussten als Spielvoraussetzung ausführlich antworten und glaubwürdig darlegen, dass sie mit rechter Scheiße nichts am Hut haben. Letztendlich gab es grünes Licht. Fand ich zwar etwas schade, da man mal ein Zeichen gesetzt hätte. Andererseits ist das Thema bei dieser Band offensichtlich auch nicht so einfach zu greifen. Insgesamt waren erfreulich viele Bands oder Einzelpersonen anwesend, die Statements gegen Rechts brachten oder das implizit in ihren Songs tun – z.B. NAPALM DEATH, HENRY ROLLINS, SICK OF IT ALL, KYLESA, SACRED REICH oder NASUM.

An der Orga gab es aus meiner Perspektive wirklich gar nichts zu meckern. Die Frage, ob mit der Auslegung von mehr Stroh die Wege hätten begehbarer gemacht werden können, überlasse ich Expert_innen. Ich habe gehört, dass dieses Mittel gar nicht so optimal sei und vor einigen Jahren zu mehr Verletzungen geführt habe. Jedenfalls gab es so gut wie keine Wartezeiten, der Sound war fast durchgängig klasse (zusätzliche Boxen an den Mischpulttürmen beschallen das Wackengelände weitläufig, z.T. bis auf die Campingplätze) und die Videoleinwände werden offenbar auch jedes Jahr mehr, wobei ich meist eh einen guten Blick auf das Bühnengeschehen hatte. Die sanitären Einrichtungen waren wieder in ausreichender Zahl vorhanden (hier beziehe ich mich allerdings auf den Backstagebereich und das Hauptgelände). Das Essen soll nicht so gut gewesen sein – keine Ahnung, hab ausschließlich selbst mitgebrachten Kram gegessen.

Mehrere gute Neuerungen: Die Auslagerung des Zeltes hat sich tatsächlich positiv auf die Platzverhältnisse im Innenbereich ausgewirkt. Bitte so lassen! Und die Einführung von Spoken-Word-Performances war großartig. Allerdings ist die Frage, wer in der Zukunft Henry Rollins toppen könnte. Blöd bleiben natürlich Wrestling und Schlammdingsie – ich wäre generell für eine Abschaffung dieser Eventscheiße.

Bleibt aus meiner Sicht festzuhalten, dass ich Wacken als sehr offen und friedlich wahrgenommen habe. Viele der Kritiker_innen, die wahrscheinlich auch länger nicht da waren, wären vielleicht überrascht, wie positiv die Stimmung ist und wie viele sehr angenehme Menschen dort rumlaufen.

Strecker: Trotz des Wetters und einiger fragwürdiger Nebenveranstaltungen war es wieder ein schönes Festival mit überwiegend netten Leuten und sehr vielen guten Bands. Ich freue mich schon auf das nächste Jahr.

Toffi: Dafür, dass es eine absolut spontane Aktion war und ich mich musikalisch mittlerweile in anderen Gefilden bewege, war der Spaßfaktor gar nicht mal gering. Von Schlammcatchen, Wet-T-Shirt-Contest und ähnlichem Ballermann-Bullshit bekommt man beruhigend wenig mit, es sei denn, es wird gezielt nach solcher „Unterhaltung“ gesucht. Auch das Gesamtklima war unprolliger als ich es erwartet hätte, dazu muss aber angemerkt werden, dass ich nicht ein einziges Mal auf den regulären Campingflächen unterwegs war. Ein fettes Minus ernten die Veranstalter in Bezug auf das offensichtlich völlig unzureichende Unwetter-Management: Ein Festivalgelände nach sporadischen Einzelaktionen (hier mal 'ne Drainage, da mal 'ne Portion Rindenmulch) am zweiten Tag tatenlos dem Schlamm überlassen, geht einfach in keinster Weise klar. Was unter solchen Voraussetzungen bei einem krassen Gewittersturm á la With Full Force los gewesen wäre, will ich mir nicht wirklich ausmalen. Dem 160 Taler für sein Festivalerlebnis löhnenden Metalhead ergraut bei sowas vermutlich auch das Haupthaar. Ansonsten war das schon ganz nett soweit, aber kleinere Geschichten bleiben schon deutlich geiler.

Zelt tot

 

Kommentare   

0 #6 Philipp 2012-09-15 12:05
Ergänzung: Henry Rollins lockte übrigens auch diverse Musiker_innen vor die Bühne, u.a. wurde am Samstag Alex Skolnick (TESTAMEMT) im Mob gesichtet.
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+2 #5 Koma 2012-09-13 22:28
:lol:

cooler Bericht von Euch!

Da bewahrheitet sich doch mal wieder:

Nur die Harten komm´ nach Gaarden

weiß nicht wie oft ich bei dem Matsch wieder aufgestanden wäre
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+1 #4 Philipp 2012-09-10 16:38
Da hast du in der Tat eine gewisse Unschärfe in der Logik entdeckt, Hammerheadphil...
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+3 #3 Ingo.K 2012-09-10 10:11
Kick your ass to heaven
With rock'n roll tonight
I'll make this night a special one
Make you feel alright
Shoot my heat into your body
Give ya all my size
I'm gonna beat the beat tonight
It's time to break the ice
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+1 #2 hammerheadphil 2012-09-10 09:50
Zur Strafe :D

Wer’s verpasst hat, sollte zur Strafe die gesamte „Grind Finale“-Vierer-LP-Compilation am Stück durchhören müssen!
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+1 #1 MetalSon 2012-09-09 21:32
Vielen Dank euch allen für den super Bericht.

Die Scorpions waren 2006 super. Setlist war auch deutlich besser:

Intro (Hurricane 2000 Intro)
Coming Home
Bad Boys Running Wild
The Zoo
Loving You Sunday Morning
Make It Real
Pictured Life (with Uli Jon Roth)
Speedy's Coming (with Uli Jon Roth)
Dark Lady (with Uli Jon Roth) (not on the DVD)
We'll Burn the Sky (with Uli Jon Roth)
Love 'Em or Leave 'Em
Don't Believe Her
Tease Me Please Me
Coast to Coast (with Michael Schenker)
Holiday (with Michael Schenker)
Lovedrive (with Michael Schenker)
Another Piece of Meat (with Michael Schenker)
Kottak Attack (with Herman Rarebell)
Blackout (with Herman Rarebell)
No One Like You (with Herman Rarebell)
Six String Sting
Big City Nights
Can't Get Enough

Encore:
Still Loving You
In Trance (With Uli John Roth and Michael Schenker)
He's a Woman - She's a Man (With Uli John Roth and … more)
In Search of the Peace of Mind (With Uli John Roth, Michael … more)
Boléro (Maurice Ravel cover) (With Uli John Roth, Michael … more)

Encore 2:
Dynamite (with Herman Rarebell) (not on the DVD)
Encore 3:
Ready To Sting (Appearance of the mechanical Scorpion)
Rock You Like a Hurricane

Ich hätte auch nichts gegen Wind Of Change gehabt. Gerne auch die russische Version. 8)
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