TRAGEDY, MOMENTUM / 07.06.12 - "De Onderbroek", Nijmegen, Holland

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Von meinem ausgewachsenen Hass auf Münster konnte sich der geneigte Leser bereits im Bericht zum MODERN PETS Gig ein Bild machen, deshalb spare ich mir an dieser Stelle einen weiteren Exkurs über dieses latent saubere Drecksnest, in das es mich verschlagen hat, und komme mal direkt zur Sache: Ein halbes Jahr lang habe ich versucht, der Tristesse durch exzessives Fluchtschlafen zu entkommen. Falls wer mit dem Konzept des Fluchtschlafens nicht vertraut sein sollte, es ist denkbar simpel: Man schläft sämtliche Emotionen weg, ich empfehle 12 Stunden Schlaf täglich, denn nur wenn man die erste Hälfte des Tages komplett verpennt, kann man sicher sein, auch in der anschließenden, kaum vermeidbaren Wachphase nie ganz da zu sein und wie in Watte durch den Tag zu kommen. Einziges Manko bei der Sache: Es endet über kurz oder lang in einer ausgeprägten Depression und einem Wahn, der sich nur durch Rotwein bekämpfen lässt. Das klingt nach SOCIAL DISTORTION-liker Rock'n'Roll Romantik ... ist es aber nicht! Ein Konzeptwechsel stand also an, weg vom Fluchtschlafen hin zum Fluchtergreifen. Raus, raus, raus! Ich hab alles mitgenommen, was mir die nährere und weitere Umgebung an Tanzvergnügen bieten konnte und ich landete sogar auf guten Shows wie OLD FIRM CASUALS, BURIAL, AMEN 81 oder YAKÖPSE. Krude Mischung, das alles und ich war generell zu faul, etwas darüber auf Papier zu bringen. Die Krönung dieses durchaus anstrengenden wie aber auch belebenden Marathons war jedoch zweifelsfrei das TRAGEDY Konzert in Nijmegen, Holland. Und das soll mir an dieser Stelle durchaus mal ein paar Zeilen wert sein:


TRAGEDY, da weiss jeder Bescheid, oft kopiert, nie erreicht. Wegweisend für x mehr oder minder originelle Bands und defintiv eine Combo, die im Gegensatz zu anderen Kandidaten wie SKITSYSTEM auch live zu begeistern weiss. Selbst konnte ich mich bereits davon überzeugen, ich meine es war der Hamburger Hafengeburtstag 2009, als ich das Brett aus Portland bestaunen durfte, wie sie den gesamten Kai zum Beben brachten. Da blieb kein Auge trocken, selbst Streetpunkverfechter und erklärter Crustcore-Hater Felix wurde nach dem Gig verschämt mit frisch erworbener TRAGEDY LP unterm Arm erwischt. Dass man das noch erleben durfte!



Die westfälische Reisetruppe drei Jahre später setzt sich aus echten Kennern zusammen. Ein guter Haufen Punkpuristen und -nerds, dem 2 1/2 Stunden Fahrt für ein Crustcore Spektakel der Extraklasse nicht zu weit ist. Natürlich haben mal wieder viele Leute aus Münster ihr Kommen angekündigt, aber tatsächlich ist unsere Autoladung die einzige Abordnung aus der Region, ihr lahmen Säcke! Egal, egal! Ich mach es mir auf dem Rücksitz bequem in freudiger Erwartung der Dinge, die da kommen mögen. Ich bin kein großer Sympathisant der Straigt Edge Ideologie, aber ich finde es durchaus angenehm, Anhänger ebenjenes Hardcore Zweiges im Freundeskreis zu haben, solange diese ein Auto haben und klagelos Hin- und Rückfahrten auf sich nehmen. An dieser Stelle Danke an Jan und Patten, die den Scheiss immer wieder mitmachen, während ich Dosenbierverschlingend alle Mitfahrer von der hinteren Reihe aus mit meiner exponentiell zum Alkoholkonsum steigenden Intelligenz belästige. Neben mir sitzt übrigens Jonas, seines Zeichens Sänger von UNREST, ihr solltet diese Band unbedingt auschecken, eine Single haben die schon draußen und bald kommt das Album. Ideale Band für die Meierei und gute Dudes. Die einizigen, die real gekeept haben in diesem Game, würde ich mal sagen! Hört es euch an!

http://www.youtube.com/watch?v=FIRPIhwtTYU

Die Fahrt vergeht wie im Flug und ich sag's Euch: Holland ist ganz schön hässlich, wenn man da über Land düst, grauenhaft! Wir versuchen sommerliche Gefühle in unsere Herzen zu lassen und hören BLINK 182, ich fühle mich wie auf einem Schulausflug. Bevor wir zu sehr in die Untiefen des Poppunks abdriften, erreichen wir Nijmegen. Fahrer Patten scheint der Überzeugung zu sein, dass in den Niederlanden Linksverkehr vorherrscht und versucht über die Parkplatzausfahrt ein Parkhaus zu entern. Der Gegenverkehr drängt uns wieder auf die Straße und glücklicherweise direkt zur Location, der "Onderbroek", was übersetzt übrigens "Die Unterhose" heißt, geil! Vor dem Laden lümmeln schon viele Leute herum. Mike Ness hat übrigens Einzug in die Crustszene gehalten, so viel ist sicher. Das ging mit WOLFBRIGADE los, ich erinnere mich da an einen sehr guten Gig in Kiel, wo auf der Bühne Pomade statt Dreadlocks angesagt war. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Das finde ich gut! Jetzt wisst ihr auch das.


Der Laden als solcher ist mega, genau das richtige für ein Konzert dieser Art. Es gibt einen kleinen Vorraum und dann geht es steil über eine Treppe in den eigentlichen Konzertladen in den Keller. Hier finden höchstens 150 Leute Platz, genauso muss das sein, denn es gibt nichts intensiveres als diese Kneipengigs. Der Eintritt ist sehr, sehr fair. Der Besucher darf sich selbst aussuchen, wieviel er in einer Spanne von 3 bis 5 Euro zu zahlen bereit ist. Ich zahle drei Euro und frage doch zusehends verschämt, ob das auch wirklich okay ist. Ist es. Ich verspreche dafür Geld am Tresen zu lassen, man glaubt mir und ich lüge in diesem Punkt gewiss niemanden an. Apropos Tresen: Hier werden nur obskure Biersorten verkauft, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Lauter Holland-Stuff und alles biologisch und fairtrade. Richtig gut, da fusionieren Mucke und das, was tatsächlich gelebt wird, einfach mal. Ich habe schnell einen Favoriten gefunden: Es ist ALFA, dieses Bier ist ein Gedicht und soll - Achtung Wortwitz! - das Alpha und Omega dieses Abends werden! Jaja, ich habe gerade einen Fips Asmussen verschluckt, egal! ;)


Alsbald schwingt sich dann die Vorband auf die Bühne, in diesem Fall MOMENTUM. Kenn ich nicht, ich weiss nur, dass da personelle Überschneidungen zu den verschiedenen FALL OF EFRAFA vorhanden sein sollen. Ich habe noch nie FoE gehört, ich geb's zu. Irgendwie hat mich das ganze Drumherum nie angesprochen. Plötzlich hatte jeder Studentenpunk einen unvermeidlichen Stoffbeutel mit dem Logo der Band, ab da war für mich Spätpubertierenden klar, dass ich der Band keine Chance geben werde. Habe ich da was versäumt? Keine Ahnung, aber das ganze Leben ist eine verpasste Gelegenheit und da wird das den Bock auch nicht mehr fett machen. Zurück zu MOMENTUM: Das ist hingegen der Hammer! Kein lahmer Epic Crustcore Scheiss, sondern fix gespielte Bretter. Mit dem BLACK FLAG Tattoo des Sängers haben die mich sowieso sofort auf ihrer Seite. Die Band beschreibt sich selbst so: "MOMENTUM, a DIY melodic hardcore band from London, based around the ideals of Carl Sagan and other luminary thinkers, to forward atheism, animal rights and feminist politics."


Übrigens mache ich im MOMENTUM Line-Up auch zwei Pomadentollen ausfindig, ich sag's ja ... ! Schockierend hingegen das Verhalten der beiden bereits erwähnten Straight Edge Kumpanen Patten und Jan: Ich ertappe sie in den hinteren Reihen des Tanzlokals mit Ohropax in den Gehörgängen!!! Was ist denn das bitte für eine lahme Haltung zur eigenen Gesundheit!? Nicht trinken, nicht rauchen, kein Geschlechtsverkehr, meinetwegen! Aber dabei kann man durchaus mit Würde seinen Tinnitus füttern! Ausgerechnet der dank seiner Propfen künstlich ertaubte Jan will mir noch weissmachen, MOMENTUM hätten ein NOFX Cover gespielt! Ich fass es ja nicht, putz dich ma die Ohren, das war ein GG ALLIN Song! Peinlich, peinlich! MOMENTUM spielen übrigens gerade mal 25 Minuten, was dann doch etwas dürftig ist. Vielleicht aber auch nicht anders machbar, man weiss ja nie, wie das mit den Bestimmungen bei solchen Läden ist. Oft gibt es da ja von Seiten der Stadtverwaltung Stress und spätestens um null Uhr muss alles über die Bühne sein ... Auch wenn MOMENTUM nur einen kurzen Einblick in ihr Schaffen gewährten, reicht das meinerseits für eine Empfehlung absolut aus. Also, wenn Ihr die Chance habt: Lasst Euch die Jungs nicht entgehen.

Das anschließende Frischeluftschnappen findet sehr rarsch ein jähes Ende: Der erste Powerchord ertönt aus den Untiefen der "Unterhose", der Asphalt zerberstet, aus klaffenden Kratern spuckt es rote Lava und die Reiter der Apokalypse treiben das schwarzbekuttete Punkrockvölkchen unter infernalischen Peitschenhieben zurück in den Keller! Lasst die TRAGÖDIE beginnen! Wer kann, zieht nochmal die Pomadentolle nach und dann rein ins Vergnügen! Und was soll ich sagen? Es ist von Sekunde eins an der absolute Durchdreher! Das Publikum rastet spätestens ab dem zweiten Song aus! Stagediver fluten den Raum, es wird geheadbangt bis zum Abwinken! Ein herrliches Bild, man sieht, dass hier jeder Spaß hat und vor allem, dass die Leute wirklich wegen TRAGEDY da sind. Waren das eigentlich die SPERMBIRDS, die in einem Song mal fragten: "What for are you here? The bands or the beer?" Könnte da jetzt falsch liegen, aber egal, wichtig und schön ist, dass das Gelumpe hier wirklich wegen der verdammten Mucke da ist! So soll das sein! Als TRAGEDY zu ihrem Überhit "The Hunger" ausholen, gibt es auch für mich kein Halten mehr, Arm in Arm mit Jonas werden die Fäuste anklagend in Richtung eines eventuell existierenden Gottes gen Himmel gereckt, aus unseren Kehlen dröhnt inbrünstig der Schlachtruf: "Do you feel it!? DO YOU UNDERSTAND??" Und ja, ich fühle es, ich verstehe es! Zumindest in diesem Moment, eingebettet in den Hardcore Sound TRAGEDYs, macht alles wieder Sinn! Das kann nur Punk! Weitere Hits folgen Schlag auf Schlag: "Eye of Madness",  "Beginning of the End", "Under the Radar" ... Was will man mehr? Ein Querschnitt durch das gesamte Schaffen wird zum besten gegeben, erfreulicherweise wenig Neues. Nicht, dass ich die neue TRAGEDY LP schlecht finden würde, aber so richtig zum Einhören bin ich noch nicht gekommen und so werden die Evergreens natürlich dankbar aufgenommen. Die "Unterhose" verwandelt sich indes immer mehr in eine Sauna, sowohl Band als auch Publikum holen das letzte aus sich raus. Schweiss tropft aus jeder Pore, das AGNOSTIC FRONT Shirt des Bassisten klebt hauteng am Bauchansatz ... Herrlich! Nach zwei Zugaben ist dann Sense, der TRAGÖDIE letzter Teil ist verkündet. Es gibt nichts zu beanstanden, ein hammer Konzert!


Entkräftet schlafe ich bereits auf dem Autorücksitz mit dem Wissen ein, dass mich das Fiepen in den Ohren wohl noch den nächsten Tag begleiten wird ... Punk ist das Geilste! UNTERHOSE, TRAGEDY, MOMENTUM: Das war groß!

Kommentare   

+3 #1 Philipp 2012-06-25 18:17
Alter, der Bericht strotzt ja vor kultigen Formulierungen! "die Fäuste anklagend in Richtung eines eventuell existierenden Gottes gen Himmel gereckt" ist eins meiner Highlights. Gut auch: "Nicht trinken, nicht rauchen, kein Geschlechtsverkehr, meinetwegen! Aber dabei kann man durchaus mit Würde seinen Tinnitus füttern!"...
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