THE MIDNIGHT GHOST TRAIN, BONE MAN, THE PONY HELLRIDE EXPERIENCE, GRIZZLY RIDER / 7.10.2011 - Kiel, Rathausbunker

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„Die menschliche Gesellschaft hat das, was in den Theatern Versenkung genannt wird. Ihr Boden wird allenthalben unterminiert, bald für das Gute, bald für das Böse. Die Arbeiten überlagern sich. Es gibt die höher und die tiefer gelegenen Minen, ein Obern und Unten in diesem unbekannten Untergrund, der bisweilen unter der Zivilisation einstürzt und den wir in unserer Gleichgültigkeit und unserem Leichtsinn verachten. Die Enzyklopädie im vergangenen Jahrhundert war ein Bergwerk, fast ein Tagebau. Die Finsternis, dieser dunkle Brutschrank des Urchristentums, wartete bloß eine Gelegenheit ab, um unter den Cäsaren zu explodieren und die Menschheit mit Licht zu überfluten. Denn in der heiligen Finsternis ist Licht verborgen. Die Vulkane sind voll eines Dunkels, das aufleuchten kann. Jede Lava ist anfangs Nacht. Die Katakomben, in denen die erste Messe gelesen wurde, bildeten nicht nur den Keller Roms, sie waren das Kellergeschoss der Welt. (…)

Nichts hält all die auf das Ziel angespannten Kräfte auf oder unterbricht die umfangreichen, gleichzeitige Tätigkeit, die in der Dunkelheit hin und her geht, herauf-, hinab- und wieder heraufsteigt, die langsam das Obere durch das Untere und das Äußere durch das Innere verwandelt, ein unermessliches, unbekanntes Gewimmel. Die Gesellschaft ahnt kaum dieses Schürfen, das ihre Oberfläche unangetastet lässt und ihr die Eingeweide verändert. Ebenso viele unterirdische Stockwerke wie unterschiedliche Arbeiten und Förderungen. Was kommt bei all dem Wühlen in der Tiefe heraus? Die Zukunft.

Je tiefer man eindringt, desto geheimnisvoller werden die Arbeiter. (…) In einer gewissen Tiefe sind die Höhlungen dem zivilisatorischem Geist nicht mehr zugänglich, der Mensch kann nicht mehr atmen, das Reich der Ungeheuer beginnt.“

[Victor Hugo, „Die Elenden“ 1862, Band II, S. 156 f (jedenfalls in meiner DDR-Ausgabe vom „Verlag Volk und Welt“…)]

 

„Ich muss tiefer… tiefer in den Untergrund…“

[KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN, „Angeschossenes Wolf“ 2009]

 

Also hinunter in die Katakomben, die Betonschlünde des Rathausbunkers, um das Reich der Ungeheuer zu betreten...

Man durfte gespannt sein, was dieser erste Auftritt von GRIZZLY RIDER in der neuen Besetzung mit Matt am Mikro bringen würde. Strecker (g) hatte es jedenfalls geschafft, halb Kiel zu aktivieren. Und da der Bunker allein wegen der anderen Bands bereits aus allen Nähten platzt, ist der individuelle Raum nicht gerade großzügig bemessen, als wir uns in den Zockraum drängeln. Warm ist es hier auch – was Schlagzeuger Harry offenbar nicht so sieht – der zockt die ersten Stücke im Bärenkostüm. Für viele überraschend: wie der privat eher ruhige Strecker seine Finger frettchenflink über die Saiten eilen lässt. Das Zusammenspiel der Band ist übrigens schon deutlich besser als auf ihrem Einstand im Hamburger Logo. Und Matt? Passt optimal in die Band hinein! War sein Gesang schon bei TYPHOON MOTOR DUDES rauher und dreckiger als noch zu SUB-EFFECT-Zeiten, harmoniert die Stimme mit Rotz und Melodie perfekt mit der doomigen Mucke. Auch das Auftreten lässt erkennen, dass der Mann auf die Bühne gehört und einen enormen Spaß daran hat. Kommt alles sehr engagiert und gleichzeitig natürlich rüber, keine aufgesetzten oder steifen Momente. Die Stücke könnten – gerade in den ganz langsamen Passagen – vielleicht noch etwas härter auf den Punkt gespielt werden, um den Mob in einen unwiderstehlichen Groove zu zwingen, aber GRIZZLY RIDER lassen bereits jetzt aufhorchen und man ist gespannt, was von der Band noch kommen wird! Mit „Cyber Terrorists From Outer Space“, bei dem mehrere Anwesende zum Refrainmitbölken verhaftet werden, gibt es schon mal mindestens einen Hit.

GR


Eine große Überraschung stellen für mich THE PONY HELLRIDE EXPERIENCE dar. Sofort entsteht in den ersten Reihen ein Wust aus fliegenden Köppen, und die Band selbst zeigt ein ähnliches Bild. Wild und rotzig schreddern die Kieler, bis die Stimmung geradezu explodiert. Die musikalische Basis ist mit DOWN-ähnlichen Grooves durchaus kompatibel zum Stil der anderen Bands, jedoch rotzen TPHE heute insgesamt am metallischsten und aus vollen Rohren. Der Sänger bepöbelt den Mob, wenn er nicht gerade schmettert, was auch völlig zu recht geschieht – die Leute wollen es gar nicht anders und antworten mit spritzigen Bierduschen. Der Gesang kann übrigens von TANKARD-artigem Gegröle über Growls bis hin zu melodischeren Tupfern einiges! Yes, ich muss sagen, dass mich diese Band heute von A bis Z vollständig mitreißt – sogar das Outfit stimmt, trägt doch der Gitarrist ‘ne schwarz-weiß-karierte Spandex-Buxe. Metal!

BONE MAN erwischen zumindest am Anfang ihres Sets den miesesten Sound des Abends, was überrascht, weil der Dreier in diesen Katakomben ja geradezu wohnt. Fiese Feedbacks sorgen dafür, dass man zunächst kaum etwas vom geilen Gesang hören kann. Doch bald wird es besser und man kann sich in die psychedelischen Soundlandschaften fallen lassen. Was ist diese Band bereits gereift! Absolut beeindruckend, wie gefühlvoll Marian Klein die sechs Saiten ertönen lässt („Bad Fashion“!) und wie GUT er dazu singt. Eine Gänsehaut spendiert mir „The Wicker Man“ – bitte NIE aus dem Programm nehmen!

Ja, was ist denn DAS? Wenn der Sänger der Amis von THE MIDNIGHT GHOST TRAIN seinen Mund öffnet, ertönen Laute wie aus der tiefsten Ursuppe des schwersten Blues und wenn er richtig loslegt, denkst du, dass neben dir ein kapitaler Elch kotzt. Was für ein versoffenes Organ, jetzt echt mal! Die Band ist mir vom Fleck weg sympathisch und Facebook-Einträge wie „Were playing the world famous rathaus bunker tonight in Kiel Germany. We’re sharin the stage with our good friends bone man. This show is going to be one to go down in history. Come on out and let's wake the dead.“ bestätigen den Eindruck. Der tonnenschwere Sludge/Doom der Band muss sich aber nicht auf die Krassheit der Stimme verlassen – gerne groovt man minutenlang instrumental vor sich hin. Erinnert mich an KARMA TO BURN auf dem diesjährigen Wilwarin und die Reaktionen der Leute sind ähnlich: Enthemmter Tanz, wohin das Auge blickt. Jeder Beckenschlag zieht dir peitschenartig durchs Gesicht, das allgemeine Wummern lässt eine sonische Faust um dein Hirn entstehen, die bei den Snareschlägen jedes Mal zudrückt.

Wie betäubt wanke ich hinaus in die Nacht… Und stammele Victor Hugo vor mich hin… „Jede Lava ist anfangs Nacht… Was kommt bei all dem Wühlen in der Tiefe heraus? Die Zukunft.“

GR

Kommentare   

0 #3 Kochi 2011-10-09 20:16
Haben TMGT ihre a capella-Version von "John, the Revelator" geschmettert? Fand ich beim ersten Gig vor einem Jahr großartig. Geile Band, und schade, dass ich Freitag nicht kommen konnte.
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0 #2 Philipp 2011-10-09 19:53
Werd nicht affig!
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0 #1 M.Strecker 2011-10-09 19:27
Das Affenkostüm ist ein Bärenkostüm.
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