WACKEN OPEN AIR XXII / 06.08.2011 – Wacken, Tag 2

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Philipp: Mir ist das Wetter auf Festivals generell eher egal. Ein harter Dauerregen ist natürlich irgendwann ärgerlich, aber dieses Jahr habe ich trotz recht wechselhaften Sommers totales Open-Air-Glück: Vier Festivals besucht, nicht einmal wirklich nass geworden (und alle Bands gesehen, die ich mir vorgenommen hatte)! So auch heute: Nachts pisst es, aber als ich aufstehe, darf ich mal gleich zur Sonnencreme greifen.

Kuh?

Pics by JoyBoy

 

 

SUICIDAL TENDENCIES

ST

Philipp: Lange darf man sich jedoch nicht der Wellness widmen, denn ab 13.00 Uhr ist Erscheinen auf dem Hauptgelände Pflicht: SUICIDAL TENDENCIES! Lange nicht gesehen, bin gespannt auf die neue Besetzung. Als Mike Muir und seine Schergen nach pompösem Intro auf die Bühne stürmen, ist schon mal ihr Outfit stimmig: wie eine Ghetto-Gang in Thrombosestrümpfen…  „You Can’t Bring Me Down“ ist der ideale Einstieg und schnell wird klar, dass Mike Muir eine fantastische neue Besetzung gefunden hat. Besonders der Drummer und der Bassist sind TIERE an ihren Instrumenten. Wie gewohnt zappelt der Sänger hektisch und unter kultigen Verrenkungen auf der Bühne herum, wie immer redet er in den Pausen wasserfallartig. Allerdings kann ich ihm im Gegensatz zu früher inhaltlich folgen, es geht um ein selbstbestimmtes Leben, die Deutung des Bandnamens, der nicht depressiv zu verstehen sei. Die Stimmung und das sehr gut gefüllte Gelände zeigen, dass SUICIDAL nicht in Vergessenheit geraten sind und eine (erfolgreiche) Zukunft möglich ist. Titel wie „Join The Army“, „War Inside My Head“, „Subliminal“, „Come Alive“, “Possessed To Skate”, das göttliche “How Will I Laugh Tomorrow” und “Pledge Your Allegiance” werden von Tausenden mitgeschmettert und von einem Meer aus Pommesgabeln begleitet. Da rennt sogar ein „American-Sprits“-Verkäufer samt Bauchladen im Circle Pit, was man sehr schön an seiner Fahne mitverfolgen kann, die im Kreis auf- und abhüpft. Der Drummer zeigt in einem kurzen Solo, dass seine Handgelenke aus Gummi zu sein scheinen und 360-Grad-Drehungen vollziehen können, so sieht es zumindest aus…

Stefan: Suicidal Tendencies waren für mich schon im Vorfeld ein Highlight im Billing und haben meine Erwartungen vollends erfüllt. Optisch wie in alten Zeiten, gab es ein erstklassiges Best of-Programm mit einem agilen Mike Muir, der allerdings auf Grund seiner etwas „ungewöhnlichen“ Bewegungsabläufe für den einen oder anderen Lacher sorgte. Vor allem die Rhythmusabteilung tat sich besonders hervor incl. eines kurzen unterhaltsamen Drumsolos. Mein persönliches Highlight war „How will I laugh tomorrow“.

Strecker: Begann der gestrige Tag noch recht entspannt, musste die Aufwachphase heute abgekürzt werden, denn  um 13 Uhr standen bereits Suicidal Tendencies auf dem Programm. Eine der Bands, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich -im Vergleich zu einigen anderen aus der Zeit- auch heute noch immer großartig finde. Zu meiner Schande muss ich aber gestehen, dass ich Suicidal Tendencies viel zu selten live gesehen habe. Dies sollte nun nachgeholt werden. Also schnell Zähne geputzt und ab ins Getümmel. Trotz der recht frühen Uhrzeit waren schon richtig viele Leute unterwegs, aber nach kurzer Suche fanden wir einen guten Platz und da ging es dann auch schon mit Intro los. Mike Muir wirkte mit seinen Stützstrümpfen zwar etwas komisch, aber er sprang noch ordentlich über die Bühne, der Gesang war super und sogar die Ansagen ließen sich verstehen. Genau genommen bestehen Suicidal Tendencies ja auch nur noch aus Mike Muir und Mietmusikern, trotzdem finde ich es hier nicht so schlimm (klar hätte ich ST lieber in Originalbesetzung gesehen), aber die Musiker boten eine solide Leistung und man hatte durchaus das Gefühl, dass da eine Band auf der Bühne stand. Der Auftritt war dann erwartungsgemäß gut und es war schön mal wieder Songs wie „How will I laugh tomorrow“ oder „Join the Army“ mal wieder live zu hören. Ein gelungener Beginn des musikalischen Tages, dem noch einige Highlights folgen sollten. Hoffentlich sind wir rechtzeitig beim Summer Breeze, damit ich Sucidal Tendencies  noch mal gucken kann. 

JoyBoy: ST sind mir aufgrund ihres Punkanteils eine sehr willkommene musikalische Auflockerung. Von einem Secu am linken Zugang der beiden Hauptbühnen bekomme ich die Info, dass ich nur im Graben fotografieren darf, wenn ich vorschriftsmäßig den Fotografeneingang auf der anderen Seite benutze. Nach minutenlangem Waten durch die Menschenmassen bekomme ich dann auf der anderen Seite die Auskunft, dass mir ein „Pitpass“ oder so ähnlich zusätzlich zu meinem Fotobändchen fehlt, um Zutritt zu dem Bereich der Hauptbühnen zu erlangen, in dem sich das Fotografieren auch halbwegs lohnt. Schade. Immerhin bekommt die Dremuleserschaft jetzt Illustrationen direkt aus den Blickwinkeln der Reviewschreiber. Pures Audiencefeeling sozusagen. ST begeistern sowohl musikalisch als auch durch die unfassbare Gestik von Mike Muir, die für einige Lacher gut ist. Der massige Drummer gibt mal ein wirklich hörenswertes (und nicht zu langes) Solo zum Besten, das an Unterhaltungswert wohl nur noch durch den Humppa-Beat des Eläkeläiset-Trommlers getoppt wird.

ST

 

MORBID ANGEL

JoyBoy: Mit dem Songmaterial von MORBID ANGEL bin ich leider bis auf ein- zwei Hits nicht sonderlich vertraut, aber die Band liefert ein sehr überzeugendes, böses Gemeter ab.

Philipp: Schnell rüber zu MORBID ANGEL, deren neuer Longplayer mit den drei Electro-Titeln ja eher umstritten ist. Die Jungs sind aber schlau und professionell genug, hier keine „Experimente“ einzugehen und binden nur die besten neuen Stücke („I Am Morbid“, „Nevermore“  & „Existo Vulgoré“) in ein ansonsten aus Klassikern bestehendes Set ein. Der Sound spaltet Schädel und Dave Vincent ist bestens bei Röhre. Mit „Immortal Rites“ hat man den gewaltigen Mob gleich im Sack, die Chöre kommen nicht wie früher vom Band, sondern werden von Dave in sakralem Pathos geschmettert. Ich fand MORBID ANGEL eigentlich immer gut, hatte aber selten so viel Spaß mit ihnen wie heute. So lecker wie das Bier der BeerBoys flutschen mir „Rapture“, „Fall From Grace“, „Maze Of Torment“, „Angel Of Disease“, „Chapel Of Ghouls“, “Where The Slime Live” und “God Of Emptiness” (geiler Abschluss!) herunter.

Stefan: Direkt weiter mit Morbid Angel, deren neues Album ja eher zwiespältig aufgenommen wird. Zum Glück wurden die elektronischen Experimente bei diesem Gig komplett übergangen und es gab ein Set, welches hauptsächlich aus alten Klassikern plus 2 oder 3 Highlights des aktuellen Albums bestand. Tim Yeung schaffte es fast, Pete Sandoval vergessen zu machen und auch der Rest der Band war, wie eigentlich immer, handwerklich absolut erstklassig. Hat Spaß gemacht Die darauffolgenden Sodom hab ich nur ansatzweise mitbekommen, da ich es schlauerweise geschafft hatte, meine EC-Karte zu verlieren und erst mal zum Fundbüro gelaufen bin, welches sich außerhalb des Hauptgeländes beim Wrestlingzelt befand. Leider ohne Erfolg! Was ich dann von Sodom noch sah, war o.k., hat mich aber auch nicht besonders gepackt. Allerdings hat der gute Onkel Tom bei mir auch ein paar Sympathien verspielt, wenn die Gerüchte über die Trennung von Bobby stimmen.

MORBID ANGEL

 

SODOM

Philipp: Die mittägliche Dreierpackung machen SODOM komplett. Kann ich irgendwie immer haben, zumal Tom Angelripper so herrliche Ansagen macht, zum Beispiel wenn er einen Song als „völlig unterbewertet“ ansagt. Der erwartete Gastauftritt von Roberto Blanco bleibt aus, bzw. findet irgendwann im Rahmen einer „Comedy-Veranstaltung“ statt, was vielleicht auch besser so ist. Stattdessen gibt es mit Schmackes Thrash Metal vor den Latz. Ein feines Potpourri aus alten Klassikern („Ausbruch des Bösen“, „The Saw Is The Law“, „Blasphemer“, „Remember The Fallen“, „Agent Orange“, „The Vice Of Killing“, „Bombenhagel“…) und neueren Stücken: „In War And Pieces“, „The Art Of Killing Poetry“, „Feigned Death Throes“ bieten dabei wie auf der letzten Platte ungewöhnlich filigrane Gitarrenschweinereien, knallen aber trotzdem ordentlich. Schön auch, dass man Stücke wie „I Am The War“, „M 16“ und „City Of God“ nicht außer Acht lässt. Bobby ist ja leider nicht mehr dabei, aber musikalisch gibt es am neuen Schlagzeuger nüscht zu meckern.

JoyBoy: Ich hätte ja soo gerne noch „Ausgebombt“ und „Sodomy and Lust“ gehört (von der Ursel mal ganz zu schweigen), aber man muss der Band wohl zugestehen, nicht immer die gleichen Kamellen rausholen zu wollen. War schon sehr geil. Beim Versuch, Bier zu holen, stelle ich irritiert fest, dass mein Wochenendbudget bereits komplett ausgeschöpft ist. Dabei bin ich doch Festival-erfahren und bekomme damit sonst nie Probleme. Dann dämmert es mir: War ja sonst auch mehr so Freitag bis Sonntag und nicht Mittwoch bis Sonntag und ich habe meist aus irgendwelchen Gründen auch noch einiges an Verpflegung für lau bekommen und so günstig wie z.B. auf dem Wilwarin ist es hier auch nicht grade. Die Erklärungen erscheinen erdrückend plausibel. Den Rest des Festivels ertragen meine Mitreisenden meine penetranten Schnorrereien geduldig. Besonders Philipp sorgt immer wieder für nicht versiegenden Biernachschub. Vielen Dank nochmal an dieser Stelle.

SODOM

 

MORGOTH

Philipp:  Hehe, gern geschehen. Nun haben wir uns ein Päuschen aber verdient, zumal der nächste Pflichttermin im Grunde erst MORGOTH sind. Also: Rock’n’Roll-BBQ, zu dem sich angenehmerweise unsere H.O.A.-Campgenossin Mille gesellt. Die Spannung steigt vor allem in Bezug auf den heutigen PRIEST-Auftritt. Die zitternden Hände können kaum beruhigt werden, doch zum Glück kennt Strecker so manches bewährte Hausmittelchen…

Strecker: Weiter ging es dann mit Morbid Angel und Sodom, die zwar ok waren, aber so recht wollte der Funke auf mich nicht überspringen und so liefen die Konzerte an mir vorbei. Kommt mal vor und ich freute mich auf die verdiente Pause, bevor es mit Morgoth weitergehen sollte. Morgoth präsentierten sich -wie schon beim Rock Hard-Festival - sehr spielfreudig und wirkten sehr sympathisch auf der Bühne, so dass die Flugeinlage des Sängers gut überspielt wurde und wie selbstverständlich als Showelement betrachtet wurde. War alles in allem ein gutes Konzert, aber ich glaube, dass es in einem kleinen Club noch deutlich besser wirkt.

Stefan: Nach einer wohlverdienten Grillpause ging es dann weiter zu Morgoth. Wie auch schon beim Rock Hard-Festival überzeugte mich die Band auch hier. Vor 20 Jahren habe ich die Band etwas übergangen, werde mich aber jetzt mal etwas intensiver mit den Alben beschäftigen. Schöner Old School-Death Metal, den man in Zukunft hoffentlich noch öfter sehen kann

Philipp: 19.30 Uhr also MORGOTH, die einen engagierten Auftritt hinlegen und schnell zeigen, dass ihre Reunion kein halbgarer Kram ist. Sänger Marc Grewe legt sich gleich bei einem der ersten Songs aufs Maul, verwandelt den Fauxpas aber elegant mit Selbstironie. Wie schön das ist, die alten Death-Metal-Kracher „Pits Of Utumno“, „White Gallery“, „Travel“, „Burnt Identity“ und „Suffer Life“ wieder mal live zu erleben! Man merkt, dass diese Band damals ihrer Zeit echt voraus war und viel zu früh aufgelöst wurde. Die umstrittene „Feel Sorry For The Fanatic“-Platte lässt man konsequent außen vor, präsentiert ausschließlich Stücke von den ersten vier Tonträgern. Gefällt mir richtig gut, obwohl mir ob des nahenden JUDAS-PRIEST-Auftritts die Konzentration schwerfällt.

WOD

JUDAS PRIEST

Philipp: Und dann ist es soweit: Wir harren der Dinge und warten auf das vielleicht letzte JUDAS-PRIEST-Konzert unseres Lebens (obwohl die Band darauf hinweist, dass sie sich nicht auflöst, sondern lediglich live kürzer treten will). Zwei Dinge beschäftigen uns: Einmal die stimmliche und gesundheitliche Verfassung Rob Halfords, dessen Performance in den letzten Jahren herbe Kritik geerntet hat. Und natürlich der Ersatz für K.K. Downing, Ritchie Faulkner. Wird er sich spieltechnisch harmonisch einfügen oder zum Beispiel zu „modern“ spielen, wie erste Live-Mitschnitte dieser Tour nahezulegen scheinen?

Schwestern und Brüder, glaubt es oder leckt mich halt am Arsch: Alle Sorgen erweisen sich als hinfällig, meine geheimen Hoffnungen auf ein gutes Konzert werden WEIT übertroffen. Rob Halford singt GUT, wirkt für sein Alter agil, moderiert entspannt charmant und gönnt sich in über zwei Stunden und 21 Songs keine nennenswerten Pausen, Solo-Gedöns gibt es auch nicht (bzw. lediglich ein verlängertes Drum-Intro für „Painkiller“). Der Sound klingt mächtig und transparent, der Bass erzeugt einen unfasslichen Schub (zumindest gilt das für unseren Platz, rechts relativ nah vor der Bühne). Natürlich hat Halford diverse Effekte, vor allem sehr viel Hall, auf der Stimme, aber Playback ist das nun auf keinen Fall. Faulkner hat sich im Laufe der Tour offenbar besser in den Bandsound bzw. die Spielweise gefügt und überzeugt ebenfalls. Die drei Gitarristen unserer Reisegruppe sind jedenfalls des Lobes voll, mehr dazu von Strecker und JoyBoy. Und was dieses Konzert zu einem absoluten Hammer macht, ist die Playlist, die sämtliche Studioplatten der PRIEST-Karriere abdeckt (minus der Ripper-Phase versteht sich, die jeweiligen Cover werden gigantisch im Hintergrund projiziert). ARGH, die Dremu-Gesandtschaft verliert von Song zu Song zusehends die Contenance, bis wahrlich nur noch verfickte Glückshormone unsere Körper durchströmen. Mir fällt es schwer, Highlights hervorzuheben, aber besonders selten oder noch nie live gespielte Stücke wie „Never Satisfied“, „Starbreaker“ oder „Blood Red Skies“ sind mal echte Goodies und das Ende mit „Breaking The Law“, „Painkiller“ (viel besser als befürchtet gesungen),  dem ersten Zugabeblock „Hellion“/“Electric Eye“, „Hell Bent For Leather“ (samt Rob aufm Krad, logisch), „You’ve Got Another Thing Comin‘“ und der mitternächtlichen letzten Zugabe „Living After Midnight“ ist die pure MACHT. Hab wenig Bands gesehen, die derart tief in ihrer Historie gegraben haben – man vergleiche nur mal mit IRON MAIDEN oder MOTÖRHEAD, die stets dieselben Klassiker spielen. Der ganzen Band ist eine gewisse Freude anzusehen, sogar Ian Hill blickt entrückt schmunzelnd auf den Horizont voller Menschen. Ich muss es so nüchtern wie möglich sagen: Für mich gehört dieser Auftritt zu den Top 10 meiner in fast 30 Jahren gesehenen Konzerte!

Setlist:

Rapid Fire

Metal Gods

Heading Out To The Highway

Judas Rising

Starbreaker

Victims Of Changes

Never Satisfied

Diamonds And Rust

Dawn Of Creation / Prophecy

Night Crawler

Turbo Lover

Beyond The Realms Of Death

The Sentinel

Blood Red Skies

The Green Manalishi (With The Two Pronged Crown)

Breaking The Law

Painkiller

Hellion /Electric Eye

Hell Bent For Leather

You’ve Got Another Thing Comin’

Living After Midnight

 

JoyBoy: Ich habe diesem Konzert so lange erwartungsvoll entgegengefiebert, dass es erfahrungsgemäß eigentlich nur enttäuschend werden konnte. Aber WEIT WEIT gefehlt. Von dem Moment, an dem das “Battle Hymn”-Intro ertönt, der Vorhang fällt und die Band mit “Rapid Fire” loslegt, bin ich gebannt und von Song zu Song steigt die Begeisterung. Für die einzigen Unterbrechungen sorgt der ständige Strom an Crowdsurfern. Moe und ich scheinen in einer Art Schleuse zu stehen, die von allen Crowdsurfern durchquert werden muss. Auf die Dauer doch etwas lästig. Ian Hill muss eine Art Subharmonic Sythesizer auf seinem Basssound haben. Jedenfalls dröhnt sein Instrument wohlig in einem Frequenzbereich, den ein gewöhnliches Fabrikat dieser Art wohl kaum erreichen kann. Bei “Victims of Changes” verspüre ich plötzlich ein warmes Kribbeln an meiner rechten Wade. Da die Band in ein paar Metern Entfernung meine komplette Aufmerksamkeit einnimmt, brauche ich einige Sekunden um zu realisieren, dass dieses Kribbeln nicht Teil meiner eigenen körperlichen Erregungssymptome im Rahmen dieses Konzerts ist. Ich drehe mich um und sehe einen geistig leicht derangiert wirkenden Typen. Aus einem fleischigen Etwas, das aus seiner Körpermitte ragt, ergießt sich ein gelber Strahl, der an meinem Hosenbein endet. Wo sind die verdammten Pisspagen, wenn man sie braucht und wieso ist ihre Inanspruchnahme noch kein Gebot des Wacken-Regelkataloges? Ehe ich mich zu einer Reaktion sammeln kann, versucht das Subjekt, das durch sein Verhalten nicht nur meinen Unmut auf sich gezogen hat, bereits den Ort des Geschehens zu verlassen. So einfach geht's dann auch nicht. Ich greife nach seinem Arm. Moe, der auch einige Sprenkler abbekommen hat, hat ihn unterdessen schon am Schlawittchen gepackt und flößt ihm einige sehr ernsthafte Worte ein. Eine Szene wie zwischen autoritärem Katzenhalter und entsprechendem flauschigen Vierbeiner nach vollbrachter Untat. Körperlich unversehrt jedoch stark eingeschüchtert verpisst sich der Pisser. Bein und Schuh sind benässt mit Fremdausscheidung. Das ist nicht schön, aber PRIEST haben ihre Machtdemonstration noch lange nicht beendet und drängen den Mangel an Komfort schnell wieder aus meinem Bewusstsein.

Im Laufe des Sets wird deutlich, dass jede Schaffensphase der Band mit Halford große Songs mit jeweils eigenen stilistischen Reizen hervorgebracht hat. Sogar der Bluesrocknummer vom 1974er Werk “Rock a Rolla” kann ich etwas abgewinnen und die “Ram it down”, welche insgesamt wohl als negativer Ausfall in der Bandgeschichte bezeichnet werden kann, stiftet mit “Blood Red Skies” sogar eines der Glanzlichter. Moe findet Halford unbeweglicher als Ozzy am Tag zuvor, ich dagegen finde ihn majestätisch. Standesgemäß ausgestattet mit der Aura eines Metal God. Bei “Breaking the law” überlässt dieser dem Publikum den kompletten Gesang, was ziemlich unproblematisch ist. Jede__r kann den Text und stellt das eigene Karaoke(un)talent aus voller Kehle unter Beweis.

Der “Painkiller” wird dann tatsächlich von Robbie bezwungen, auch wenn es ein harter Kampf ist. Spätestens jetzt kennt die Begeisterung wirklich keine Grenzen mehr. Die Band legt mit “The Hellion/Electric Eye” nochmals einen drauf. Wahnsinn. “Jetzt hol' das Motorrad raus!”, entfährt es mir. Neben mir ergänzt jemand: „Jaaaa – Hell bent for leather!” Im selben Moment steigen gewaltige Dampfsäulen auf der Bühne empor und machtvolles Motorengebrüll füllt das gesamte Areal. Da war spontan ein High-Five angesagt. Halford treibt während des Stücks seine Maschine immer wieder mit einer Peitsche an. Auch mich als Führerscheinlosen beeindruckt diese Männlichkeitsdemonstration schwer. Zu Recht lässt sich die Band mit “You've got another thing coming” feiern und krönt das Ganze schließlich sogar noch mit “Living after midnight”, dem nunmehr vierten Stück von der “British Steel” an diesem Abend.

Während KISS es ihren Legendenstatus bei mir vor ein paar Jahren durch ein mäßiges Livekonzert zum Bröckeln brachten, haben Priest sich an diesem Freitag wahrhaft legendär präsentiert. Diesen Auftritt werde ich hoffentlich nie vergessen.

Strecker: Als ich die Erwartungshaltungen und die Vorfreude der anderen auf das JudasPriest-Konzert hörte, war ich etwas skeptisch und wollte ich nicht der Spielverderber sein. Ich erinnerte mich aber an das Judas-Priest-Konzert vor 3 Jahren in Roskilde und dort stand ein schwer kranker Rob Halford auf der Bühne. Bei dem Anblick damals habe ich mich richtig erschrocken und mir gedacht, dass er wohl der nächste große Sänger sein wird, der von uns geht. Jeder Ton bereitete ihm sichtlich schmerzen und selbst Ruhepausen waren in die Show integriert, so dass sich Rob Halford bei einigen Songs mal setzen konnte. Ich hatte also auch von dem Wacken Konzert nicht viel erwartet, aber da habe ich mich getäuscht. Zum Glück. Die Setlist war ein kleiner Traum, auch wenn ich natürlich gern noch den einen oder anderen Song gehört hätte. Die Band war engagiert, hatte sichtlich Spaß  und auch Neuzugang Faulkner bot eine gute Leistung an der Gitarre, die zwar K.K. Downing nicht vergessen machen konnte, aber vermisst wurde er auch nicht sonderlich. Es war ein sehr gelungenes Konzert und in der Verfassung hoffe ich, dass Judas Priest noch einige Jahre weitermachen.

Stefan: Nun herrschte eine knisternde Spannung vor der True Metal Stage. Jeder fieberte dem Auftritt von Judas Priest entgegen, es war aber auch, wie bei unserer Reisegruppe, auf Grund der nicht gerade überzeugenden Auftritte der letzten Jahre ein gewisse Skepsis zu spüren. Diese wurde aber sehr schnell weggeblasen. Die folgenden knapp 130 Minuten kann man nur legendär nennen. Rob Halford sang wirklich gut, auch wenn einige Effekte auf seiner Stimme waren und Faulkner passte sich hervorragend ins Bandgefüge ein. Die großartige Setlist, die alle Priest-Alben mit Halford umfasste, wurde weiter oben schon erwähnt. Meine persönlichen Highlights waren, neben den bekannten Hits,  „Turbo Lover“ und „Blood Red Skies“. Für mich eines der besten Konzerte der letzten Jahre. In dieser Verfassung können Judas Priest gerne noch weitermachen.

WOD

 

KYUSS LIVES

JoyBoy: Als Bier danach serviere ich mir KYUSS LIVES!, die mit ihrer ansagenfreien Wüstencoolness sehr zu überzeugen wissen. Allein Bjork und Garcia rechtfertigen für mich den Besuch und auch Scott Reeders Bassspiel klingt nicht grade nach Plastik. (Nick Olivieri ist scheinbar aus strafrechtlichen Gründen verhindert, die ihn nicht gerade als sympathischen Typen erscheinen lassen. Mehr dazu hier: http://www.roadrunnerrecords.com/blabbermouth.net/news.aspx?mode=Article&newsitemID=161348  ) Gitarrist und damit Josh Homme-Ersatz Bruno Fevery ist dagegen bisher unter anderem durch ein Engagement bei Helmut Lotti (!) in Erscheinung getreten. Homme war natürlich eine wichtige Figur bei Kyuss, doch auch der Rest der Band, allen voran Brant Bjork, hat sehr gutes Songmaterial vorzuweisen, insofern halte ich die Coverband in dieser Besetzung schon für recht legitim. Erwartungsgemäß gefallen mir die Songs, in denen das Tempo etwas angezogen wird, am besten. Viel mehr als “Green Machine” und “El Rodeo” erkenne ich allerdings zugegebenermaßen nicht namentlich.

WOD

TRIPTYKON

Philipp: Was kann man jetzt noch tun? Nach diesem Konzerterlebnis? Eigentlich nur noch hinlegen und sterben… Nun, machen wir das doch einfach. Und zwar indem wir zu TRIPTYKON gehen, das kommt gefühlsmäßig fast auf dasselbe hinaus. Im Ernst: Eine derart schwarze, morbide und durchweg negative Musik lässt sich schwerlich woanders finden. Mit einer Lava-Version  von „Procreation Of The Wicked“ geht es los. Per „Circle Of The Tyrants“ bohrt sich die Band tiefer in die CELTIC-FROST-Geschichte, HELLHAMMER-Stücke gibt es heute jedoch leider nicht (auf dem Rock-Hard-Festival sollen sie welche gespielt haben). Macht nichts, denn die Songs von „Epistera Daimones“ sind wahrlich schon für sich schwer zu schluckende Brocken. Tom Warrior bedankt sich mehrfach, hier spielen zu dürfen und seine Musik darbieten zu können. Der Mann hat Stil. Voll ist es übrigens nicht mehr, aber TRIPTYKON sind eben auch kein Mainstream für den Durchschnittswackenbesucher. Mit „Goetia“ und „The Prolonging“ dröhnst du dich gepflegt ins Nirwana. Ich schwanke langsam hin und her… irgendwie wird meine Sicht langsam trübe… und warum ist das plötzlich so kalt hier? „UNDER A FROZEN SUN… UNDER A BURNING MOON“…  „SICKNESS, DARKNESS, DECAY. MANKIND SHALL DROWN IN ITS DELUSIONS”… Bin ich das, der seine Gliedmaßen hospitalistisch zuckend hin und herwirft? Oder hat mich da etwas/jemand gepackt und schüttelt mich? “ “I SHALL OBLITERATE YOUR HOPE. I SHALL BREAK YOUR WILL. AS YOU PERISH, I SHALL LIVE” Uff, irgendwie betäubt wanke ich zurück ins Camp…

Stefan: Wie auch Strecker stand ich nun vor der Wahl Triptykon oder Kyuss Lives. Beide hatte ich in den letzten Monaten schon gesehen und fand beide sehr gut. Ich entschied für Erstgenannte und wurde ein weiteres Mal nicht enttäuscht. Auf Hellhammernummern wurde heute verzichtet, trotzdem war die Stimmung dieses Auftritts beeindruckend. Keine andere Band schafft es so düster und heavy rüberzukommen. Ist natürlich nix für ein Massenpublikum, für alle Anwesenden war es aber ein Erlebnis.

Strecker: Nun gab es für mich die einzig wirklich ärgerliche Überschneidung. Kyuss Lives oder Triptykon war die Frage. Ich hatte beide Bands vor kurzem gesehen, war von beiden Konzerten begeistert und nun sollte ich mich also entscheiden. Ich habe mich dann der Gruppe angeschlossen und mir Triptykon angeguckt. Wie auch schon beim Rock Hard-Festival war die Band wieder faszinierend und bot eine sehr düstere, aber irgendwie auch positive Show, die Spaß gemacht hat und für einige aus der Reisegruppe wohl auch reichte, damit die nötige Bettschwere erreicht wurde und der Abend langsam ausklingen konnte. Es sollten aber noch Slime spielen und langsam wurde ich wach und sah meine Chance für eine kleine Revanche an Philipp. Normalerweise schleift Philipp mich immer zu Konzerten, wenn ich mich viel lieber ins Reich der Träume begeben würde. Die Ausreden wie „mir ist kalt“, „ich habe Hunger““ usw. wurden nicht gelten gelassen und so wurde Philipp samt Reisegruppe zu ihrem Glück gezwungen und musste mit zu Slime.

WOD

 

SLIME

Philipp: Ausgerechnet Strecker animiert die ganze Gruppe, unsere JUDAS-PRIEST-Analyse abzubrechen und uns noch einmal auf den Weg zu machen. Verkehrte Welt! Strecker, sonst die „lebende Lavalampe“ (Vergleich von JoyBoy, „wirkt ebenso beruhigend“), drängt ein ums andere Mal zum Aufbruch, obwohl alle jammern, „Mir ist kalt“, „ich bin müde“, „ich hab Hunger“. Man sieht von Strecker nur verwaschene Konturen, weil er so schnell hin- und herflitzt, Mille ‘ne Extrajacke verpasst, Stefan aus dem Sessel zerrt und mir ‘nen Riegel ins Maul drückt…

Und tatsächlich schaffen wir es, rechtzeitig zum Beginn von SLIME am Zelt einzutrudeln, welches aus allen Nähten platzt, ja viele Menschen bis weit nach draußen stehen. Wir treffen sogar die Gebrüder Harkonnen samt Meute, als wir uns – abermals rücksichtslos von Strecker angetrieben – tief ins Gewimmel hineindrängeln. Da beginnt auch schon „ACAB“ (ein besserer Start als in der Kieler Räucherei, finde ich. Da fühlt man sich gleich an die Liveplatte erinnert) und das ganze Zelt brüllt mit. Erstaunlich für ein Metalfestival? Vielleicht, aber man sollte den Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad von SLIME auch in dieser Szene nicht unterschätzen. Zudem haben Bands wie DRITTE WAHL, UK SUBS oder EXPLOITED auch schon in Wacken abgeräumt. In Kiel war ich aufgrund der veränderten Besetzung noch recht skeptisch, aber im Kontext eines Festivals, auf dem eine Grauzonenband wie FREI.WILD ihre Parolen herausbölken durfte, erscheinen SLIME gleich umso relevanter. Musikalisch zeigt man sowieso die Zähne, dieser Auftritt hat ohne Frage wirklich Energie, was am Austausch zwischen Publikum und Band liegt. Stimmungshöhepunkte sind wohl „Störtebeker“, „Alle gegen alle“, „Schweineherbst“ und  „Deutschland muss sterben“ aber man muss schon sagen, dass der gesamte Auftritt gehörig gefeiert wird.

JoyBoy: Sorgen SLIME auf einer Kommerzveranstaltung wie dem Wacken für ein wünschenswertes politisches Gegengewicht oder verliert ein Song wie „Deutschland“ in dem Moment seine Zähne, in dem er in diesem Kontext auch noch von Leuten mitgegröhlt wird, die zuvor zum Teil auch ebenso begeistert Frei.Wild abgefeiert haben und sich nächste Woche vielleicht auf dem Gütersloher Stadtfest durch irgendetwas beglücken lassen, solange es ihnen von irgendwoher bekannt vorkommt? Und wieso spielen SLIME überhaupt nebst Tittenshows und erwähnter Braunzonenband? Musikalisch gibt die Band wirklich keinen Anlass zum Klagen. Gut und fix wird eine feine Auswahl von Klassikern dargeboten. Der Herr Schwers liefert einen wirklich guten Job an den Drums ab, auch wenn der Unterschied zu Mahler zu hören ist. Das macht durchaus Spaß. Erfreulich ist es zudem, dass eine sich an diesem Abend gemäßigt, aber keineswegs unpolitisch gebende Band mit großartigen Liedern trotz des stilistischen Kontrastes zum Restprogramm so viel Zuspruch erhält. Etwas fehlt dennoch - und zwar nicht erst seit diesem Event, dessen Teil Slime geworden sind: Glaubwürdigkeit. Das Gefühl wirklich DIE Deutschpunklegende Slime, legendär eben auch aufgrund ihrer kompromisslosen und radikalen Haltung, zu sehen habe ich jedenfalls zu keiner Sekunde. Mein fader Beigeschmack bei dieser „Reunion“ bleibt und die eingangs erwähnte Fragestellung ist nicht zu beantworten in Mustern wie „entweder/oder“ sondern mit einem „sowohl/als auch“.

Strecker: Das Zelt war noch überraschend gut gefüllt, aber trotzdem gelingt es uns, noch einige bekannte Nasen zu treffen und so wird das Slime Konzert irgendwie zu einer gelungenen Feier. Man mag ja über die Reunion denken, was man will und natürlich sind Slime nicht mehr so kompromisslos wie noch zu ihren Anfangstagen, aber trotzdem haben die Songs nichts von Ihrer Wirkung verloren und auch die Texte sind (wenn auch in leicht abgewandelter Form ) noch immer aktuell.  Ich fand es jedenfalls schön, die Songs noch mal zu hören und auch die Band hat offenbar Spaß daran, ihre Musik noch mal einer so großen Meute zu präsentieren. Ein würdiger Abschluss des Konzerttages.

Stefan: Da ich mit der ganzen Hintergrundgeschichte von Slime nur bedingt vertraut bin und nur die Musik kenne, gehe ich völlig ohne Vorbehalte ins sehr gut gefüllte Zelt. Von der ersten Sekunde räumt die gut aufgelegte Band gnadenlos ab und es bringt einfach Spaß zum Abschluss des Tages einige alte Klassiker mitzuschmettern.

Philipp: Hm, noch aufs Gelände und Bekannte besuchen? Ach wat, wir sind uns selbst genug und so feiert unser Grüppchen diesen durchweg gelungenen Tag in trautem Kreise. Nur die schrillen „Das ist Wacköööön!“-Quieker aus der Nachbarschaft stören…

Kommentare   

0 #1 Philipp 2011-08-28 10:32
Dritter und letzter Teil folgt voraussichtlich heute.
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