SLADE, THE SWEET / 22.06.2011 - Kieler Woche, Rathausbühne

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Eher zufällig hatte ich vor ein paar Tagen erfahren, dass sich unter den wenigen Perlen im standesgemäß fast ausschließlich unerträglichen Kieler Woche-Programm dieses Jahr zwei rockgeschichtlich durchaus relevante Namen befinden: SLADE und the SWEET. Und deren Auftritte sollten auch noch zur selben Zeit am selben Ort stattfinden, so dass die Qual, sich ausnahmsweise mal in die Zombiemassen zu begeben, sich zumindest gleich doppelt rechtfertigen würde. Beide Bands haben neben ihrer englischen Herkunft gemeinsam, in den ersten Jahren ihres Bestehens Anfang der 1970er den Glam-Rock maßgeblich mitbegründet und sich mit einigen, mehrfach auch von diversen Punkbands neuinterpretierten Hits einen legendären Status erspielt zu haben, später in verschiedenste, weitestgehend grauenhafte musikalische Gefilde abgedriftet zu sein und heute ihren guten Namen dafür hergeben zu müssen, dass Einzelpersonen aus den Originalbesetzungen unter diesem für Unterhaltung auf niveaulosen Volksfesten sorgen. Allzu viel war also trotz allen Respekts für die Sonnenseiten ihrer Schaffensphasen - wobei SLADE mich bisher deutlich mehr musikalisch begleitet haben als the SWEET, die ich eher so nebenbei mal mitgeschnitten hab - nicht zu erwarten, zumal sich in beiden Fällen die prägenden Bandmitglieder längst aus diesen Konstellationen verabschiedet haben.

 

Mit einer kleinen Gaardener Reisegruppe, die stilecht am Karlstal-Sky losstartete, enterten wir ohne besondere Vorkommnisse ziemlich pünktlich gegen 20.30 Uhr den Rathausplatz, wo SWEET gerade die ersten Akkorde gen Zuhörer_innenschaft raushauten, die sich erstaunlich reichlich zwischen Fressbuden und Bühne drängte und sich vornehmlich aus Ü50-Ehepaaren zusammensetzte. Ganz einfach war es nicht, aber irgendwann hatten wir uns ein Plätzchen in den hinteren Reihen ergattern können, wo man zwar (zunächst!) einen soliden Blick auf die Bühne hatte, aber der nicht unbedingt ohrenbetäubende Sound zeitweise arg mit den Gesprächsfetzen der Drumrumstehenden konkurrieren musste. Das waren an dieser Stelle überwiegend die Teile besagter Generation, die die meiste Zeit dezent mitwippten und dann und wann die Lippen bewegten und schließlich bei ihrem jeweiligen Favourit anfingen, ein wenig mit den Armen zu rudern, der wahrscheinlich vor 30-40 Jahren mal der Soundtrack zur Begründung ihrer längst in Alltagstristesse versunkenen Ehe gewesen ist. SWEET spielten sich derweil durch ihre jahrzehntelange Bandgeschichte und ich war überrascht, wieviele der wohlbekannten Welle Nord-Gassenhauer ich bis dato nicht mit dieser Band in Verbindung gebracht hatte, wobei die Tiefpunkte tendenziell überwogen. Ganz grauenhaft stach ein Medley ihrer haiwaiesken Songs hervor. Versöhnt wurden solche Ausfälle aber immer wieder durch den Unterhaltungswert des beeindruckend hohen und SWEET-typischen Backinggesangs des einzigen verbliebenen Originalmitglieds und Gitarristen Andy Scott, dem nichtmal die (ansonsten natürlich zutiefst widerlichen) BEE GEES Konkurrenz machen können. Und dann, pünktlich zum ersten wirklichen Highlight "Teenage Rampage" kam es zu dem Einschnitt des Abends: Es begann wie aus Eimern zu schütten und binnen weniger Sekunden verdeckte ein buntes Meer hunderter Regenschirme die Sicht und auch nur mit Mühe war höchstens noch der über allem leuchtende LED-Bandschriftzug zu erkennen. Wir waren offenbar die einzigen, für die die Beschäftigung mit Wettervorhersagen kein wichtiger Lebensinhalt darstellt und ohne Regenschirme zwar eindeutig die coolsten Hänger auf dem Platz, aber leider auch nach nur wenigen Minuten bis auf die Knochen durchnässt. Besagter Hit ging auch in Anbetracht des weiterhin nicht verbesserten Lautstärkeproblems dementsprechend etwas unter. Dafür bekam der Regen immer apokalyptischere Züge und spätestens als SWEET bei dem eh schon etwas eigenwilligen "Love is like oxygen" ein gefühltes zehnminütiges Keyboardsolo einbauten, das mit der Zeit immer mehr Ähnlichkeiten mit der Titelmelodie des Konsolenklassikers "Streetfighter 2" erlangte, musste man sich ob der absurden Situation die berechtigte Frage stellen, was zur Hölle einen eigentlich geritten hatte, sich auf einen Mittwochabend so 'ne fertige Oldiekapelle in unauthentischer Besetzung im strömenden Regen zwischen in Vergangenheit schwelgenden Ehepaaren auf dem beschissensten Event, das Kiel zu bieten hat, reinzuziehen!? Nunja, die Antwort blieb erstmal aus, aber dafür konnte es ja auch nur besser werden. Und siehe da, das tat es auch: Der Monsun hatte nämlich immerhin massenhaft Gutwetter-"Fans" weggespült und uns damit endlich Zugang zu den vorderen Reihen verschafft. Und hier hatten sich die wahrhaftigen SWEET-Liebhaber_innen versammelt: Ebenfalls seit Dekaden dabei, zwar auch mit Regenschirmen bewaffnet und verheiratet, dafür aber textsicher und mit der ehrlichen Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Man schiss kollektiv auf das Unwetter, lobte uns Jungspunde für unsere SWEET-Kenntnis trotz später Geburt, die Zugaben wurden stilecht mit dem obligatorischen Schlachtruf "We want Sweet!" mehr oder weniger lauthals eingefordert und schlussendlich von der Band mit dem großartigen "Ballroom Blitz" als Showdown belohnt. Und allein wegen dieser legendären, viel gecoverten Hymne hatte sich, neben den vielleicht 3-4 anderen brauchbaren Songs im Set, die Gesamttortur dann doch noch gelohnt oder um es mit den Worten des in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu mir stehenden Trottels neben mir zu sagen: "Der Song ist einfach geil, den kannste immer wieder bringen." Recht hat er und SWEET räumten nach einer guten Stunde Spielzeit die Bühne für SLADE.

 

Kenner_innen der Materie stellt sich natürlich die naheliegende skeptische Frage: SLADE und SWEET auf der selben Bühne, kann das gut gehen? Ist es doch seit jeher Gesetz, dass man sich eigentlich für eine der Beiden zu entscheiden hat. In unserer Reisegruppe war jedoch nur ein Mitglied so konsequent, seiner Parteinahme für SWEET durch Antreten des Nachhausewegs noch bevor SLADE die Bretter betraten, Nachdruck zu verleihen. Dass es auch ansonsten nicht zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Fraktionen kam, war wohl nur dem die Gemüter kühlenden Regen zu verdanken. Wir Verbliebenen hatten die hasserfüllten Fronten der 1970er nicht mehr miterleben dürfen und waren dementsprechend pragmatisch, auch wenn ich mich in dieser entscheidenden Frage an dieser Stelle nochmals offen zu SLADE bekennen muss. Die simpleren Songstrukturen, weniger Pop, dafür kneipenerfahrene, mitgröhltaugliche Eingängigkeit und die überzeugende Working Class-Attitüde (inkl. zeitweisem Kokettieren mit dem Skinhead-Outfit, allerdings wohl eher aus verkaufsstrategischen Gründen) sind hier die schlagenden Argumente. Nicht umsonst huldigten später zahlreiche Punk- und Oi-Legenden von THE OPPRESSED über 4SKINS bis hin zu ONE WAY SYSTEM den glammernden Pubrockern und eine Band wie COCK SPARRER hätte es wohl ohne ihre inspirierende Wirkung in dieser Form nie gegeben.

Den Zeitplan strikt einhaltend legten SLADE um 22.15 Uhr pünktlich los. Die vorherige Anmoderation der vier Herren als "Nahezu-Originalbesetzung" durch den bühneneigenen Animateur unterstrich nochmals den grundlegend peinlichen Charakter solcher Kieler Woche-Konzerte, denn original waren gerademal Drummer Don Powell und Gitarrist Dave Hill. SLADEs Stimme, Charisma und Hauptsongwriter Noddy Holder ist dagegen schon seit über 20 Jahren nicht mehr dabei und wir waren gespannt, wie sein Fehlen auch nur ansatzweise kompensiert werden sollte. Natürlich gar nicht, das wurde während des folgenden Gigs durchgängig mal mehr, mal weniger deutlich. Da änderte auch die stilistisch ähnliche Mütze seines Auswechselspielers am Mikro nix. Das Set setzte sich zusammen aus den aus Funk und Fernsehen bekannten Mainstream-Schlagern wie "Far far away" und "Run runaway" (welch vielseitige Songtitel by the way...), lieblosem und überflüssigem AC/DC-Abklatsch-Hardrock jüngster Veröffentlichungen und zumindest einer Handvoll der wirklich bedeutenden Songs der minimalistischen Stampfrock'n'Roll-Ära, deren Dichte zum Ende hin erfreulich zunahm. Die Zahl der erkennbaren Opfer romantisch verschleierter bürgerlicher Zwangsverhältnisse im Publikum hatte derweil übrigens etwas abgenommen, dafür prägten nun auch einige Vertreter_innen verschiedener Subkulturen das Gesamtbild mit. Die Band an sich hatte durchaus ihre peinlichen Momente, z.B. wenn der sowohl unter musikalischen als auch Altersgesichtspunkten unpassende Bassist (weiterer O-Ton Trottel No. 2: "Wie schafft der das, dass ich heute Abend noch nicht einmal die markante SLADE-typische Bassline gehört hab?") bei dem eigentlich nicht zu verachtenden "Everyday" das Mikro über- und dem Song jeglichen Charme nahm. In den spackigen Gesten und dem goldig-glitzernden Outfit des Gitarristen und dem angestrengt-stumpfen Schlagzeugspiel des Drummers konnten Nostalgiker_innen dagegen einen Hauch dessen, was die Band irgendwann mal ausgemacht haben muss, erkennen. Und natürlich dann, wenn selbst in den vorgetragenen leicht verhunzten Versionen unschlagbare Hits wie "Gudbuy t'Jane", "Cuz I luv you" oder "Mama weer all crazee now" zum Mitschmettern einluden. Apropos, auch die Mitmach-Nummer "Get down with it" durfte bei den angeblichen Urvätern der Publikumsanimation natürlich nicht fehlen, wobei sowas auf Veranstaltungen wie der Kieler Woche sicherlich gefährliche Züge annehmen kann, auf denen sich eine solche Unterhaltungsmethode längst als unerträglicher Mainstream-Bullshit durchgesetzt hat. Wir waren trotzdem so frei den vertonten Klatsch- und Stampfbefehlen artig Folge zu leisten. Unterbrochen wurde die eigentlich einigermaßen gelungene Schlussphase abrupt durch deren denkbar dunkelste Kehrseite, die etwas schief vorgetragene Rod Stewart-mäßige Softrockschnulze "My oh my", igitt... Dieses Grauen konnte bei dem finalen Schlusspunkt, dem Slade-Smasher schlechthin "Cum on feel the noize" zum Glück schnell wieder verdrängt werden. Durchkalkuliert um 11.30 Uhr verhallten die letzten Klänge und ich sah zu, mich zuhause der mittlerweile komplett durchnässten Garderobe entledigen zu können. Andere dagegen spielten noch mit dem Gedanken, in der Pumpe die Nacht fortzusetzen.

Wenn die Kieler Woche zu irgendwas taugt, außer sich der Abneigung gegenüber der mehrheitsgesellschaftlichen Interpretation von Spaß zu vergewissern, dann, um den einen oder anderen Haken hinter diese oder jene einstmals ruhmreiche Kapelle zu setzen, denn Kohle hätte ich für diese Chose sicherlich nicht hingelegt. Wenn man den Erwartungshorizont vorher nicht überstrapaziert und sich über zwangsläufige massive Qualitätsverluste im Klaren ist, kann ein solches Unterfangen wie in diesem Fall, trotz alledem, unterm Strich sogar als zufriedenstellend bewertet werden. Und immerhin hat es dazu geführt, im Zuge der Konzert-Vor- und Nachbereitung mal wieder 'ne SLADE-Scheibe aufgelegt zu haben und das allein war den Ausflug eigentlich schon wert. Mein Bedarf an Kieler Woche-Oldie Nacht-ex-Rockstar-Halbcoverband-Plastikspektakeln ist wohl trotzdem erstmal bis auf Weiteres gedeckt. PS: Scheiß Kieler Woche!

Kommentare   

+4 #6 bockfred 2011-06-24 02:56
also ich fand THE SWEET echt geil aller, ansonsten ist mir die kieler woche zu kommerziell geworden.
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0 #5 Andy 2011-06-23 22:44
Seit jetzt!
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0 #4 DoctorJoyBoyLove 2011-06-23 21:31
Seit wann heiß ich Bocky? ...und das mit den prägenden Bandmitgliedern stimmt zumindest bei The Sweet nicht ganz. Andy Scott war bei denen so ziemlich der produktivste (bandinterne) Songwriter.
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+1 #3 Andy 2011-06-23 21:13
Oh, für The Sweet würde ich ja auch fast zur Kieler Woche gehen.

Hehe und Bocky hat behauptet er wäre trocken...
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+2 #2 casi 2011-06-23 21:08
schöner bericht. besser hätte man diesen abend nicht beschreiben können. Aber Andy Scott ist echt mal ziemlich geil. Zur pumpe hab ich es übrigens auch nicht mehr geschafft, weil ich auf dem weg am havanna-bollerwagen abgefüllt wurde...
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0 #1 DoctorJoyBoyLove 2011-06-23 20:53
Mit mir als bekennendem Anhänger der The-Sweet-Hool-Fraktion wäre die Situation sicher eskaliert. Zum Glück war ich spontan zu faul und zu trocken, um mitzukommenn.
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