WILWARIN VIII / 28.05.2005 - Ellerdorf, Tach 2

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„Every festival should be like this!“
Lou Koller (SICK OF IT ALL) live beim Wilwarin-Gig.

 

Lange währte der Schlummer jedoch nicht gerade, denn der nun hereinbrechende Sonnabend kam mit NOCH HÖHEREN Temperaturen über uns und ließ einen nicht länger als bis 8.30 Uhr im Zelt aushalten. Ganz hartnäckige Camper schafften es vllt. auch bis 9.00 Uhr – dann aber schweißbedingt unter dem Verlust mehrerer Kilo Lebendgewicht.
Die Stunden bis zur ersten Band eilten jedoch erfreulicherweise wie im Fluge vorbei, da alle Tätigkeiten wie Zähneputzen, Frühstücken oder U-Buxenwechsel (statt Dusche) gaanz zeitlupig vonstatten gingen.
Obwohl ich also außer dieser überschaubaren Liste an Aktivitäten noch nichts weiter auf die Reihe bekommen hatte, verpasste ich den Anfang von OUT OF LIMITS. Von weitem drangen schon begeisterte Jauchzer an meine Ohren. „Was da wohl los sein mag?“ wunderte ich mich, war dann um so mehr von den Socken, als ich die vier Nachwuchsrocker auf der Bühne sah: Die waren ja echt erst so neun bis zwölf! Der Drummer war kaum hinterm Set zu erkennen. Aber volle Kanne Punkrock – da jubelten und kreischten die Leute! Der Song endete – der Sänger sagte: „Wir begrüßen Sie auf dem Wilwarin-Festival“. Man musste diese Jungs einfach lieben, wie sie begeistert abrockten und sich durch Cover von GREEN DAY (“American Idiot“) und eigene Stücke zockten. Der kleene Drummer kloppte rotzefrech und seelenruhig ordentlich rein, so dass Kollege Axel von ABGELEHNT sich fast an seinem Bier verschluckte und beschämt seine Sticks an den Nagel hängen wollte, hä hä. Auch die anderen machten sich ganz rücksichtslos gar keine Gedanken darüber, ob sie gerade die ganze versammelte Muckerschaft in eine Sinnkrise stürzten. Na, ich will auch nicht übertreiben – OUT OF LIMITS sind nun auch keine Wunderkinder, aber sie rockten mit so viel Esprit und Natürlichkeit los, dass es einfach herzergreifend und mitreißend war. Ein Riesenspaß! Dieses Cover von „Äppel wolln wir klaun, ruckzuck übern Zaun, ein jeder aber kann dat nich, er muss aus Hamburch sein“ ließ den Mob natürlich vollends ausrasten und unter vermehrtem Jubel mussten die Minipunkers dann etliche Zugaben spielen, bis sie höchst professionell verkündeten: „Wir haben leider einen Mangel auf der Bühne und müssen aufhören!“.

Oha, nun kam es ganz dicke für mich! Nix mehr mit gepflegtem Müßiggang, nun musste gearbeitet werden! Ein paar Wochen vorm Wilwarin hatte mich nämlich die Crew gefragt, ob ich nicht am zweiten Tag die Ansagen auf der großen Bühne übernehmen wolle. Leichtsinnigerweise hatte ich zugesagt, nicht ahnend, dass ich unter Höllentemperaturen jeweils vor den Gigs der Bands ausharren musste, bis der Zeitpunkt gekommen war, auf die Bühne zu wetzen und ein paar mehr oder weniger schlaue Worte zu den Bands zu sagen. Aber es war schon interessant das Festival aus einer ganz neuen Perspektive zu erleben! Etwas komisch fühlte ich mich, wenn ich Bands angesagt habe, die ich eigentlich nicht kannte (und die TRACEELORDS waren dann ja später auch für ein paar unangenehme Überraschungen gut...).
Dazu gehörten aber TOTSCHICK nicht, das ist klar. He, TOTSCHICK ist übrigens falsch geschrieben, das muss ich als Freund der gepflegten Rechtschreibung mal bemängeln, denn richtig wäre TODSCHICK! Aber diese Gaardener Punkerschweine haben wohl eh keinen Duden... Erfreulich viele Leute kamen um sich den Gig der Jungs anzusehen. Berechtigterweise, denn sie waren mal wieder klasse! Zeitloser Punkrock mit Pfeffer, verdammt gutem Gesang und einfach dem gewissen eigenständigem Etwas. Mixer Bocki zauberte einen richtig guten Sound und trotz der Hitze tanzten immer mehr Leute. Von den beiden Döner-Tributen zockten sie leider nur das TRIO-Stück, aber immerhin gab es wieder einen Gastauftritt von Till mit der Quietschkommode. Ein früher Höhepunkt des Tages!
Leider hatte ich LONESOME GEORGE verpasst, aber die Temperaturen waren mittlerweile wirklich krass. Ich merkte auch, dass es mit Biersaufen so nicht weitergehen konnte, wenn ich SICK OF IT ALL nicht mit „bsss hrrrrrt hiersssin SicKofiTalL hrrmmm“ oder so ansagen wollte. Da war erst mal Wässerken angesagt. Zum Glück hatte die Feuerwehr Ellerdorf so einen Schlauch auf die Wiese gelegt, der sein köstlich kühles Nass in die Gegend sprühte. Hunde, Frauen, Kinder, Männer sprangen begeistert rein da! Danke!
KULTUR SHOCK – eine vom Balkan stammende „Protest-Gypsy-Core“-Truppe – passten sehr gut ins Selbstverständnis des Festivals, mischten sie doch Folk, Rumba, Jazz, Funk und Punk zu einem wilden und lebensfrohen Etwas. Gleich fiel auf, dass das verdammt gute Musiker sind, die ihre Instrumente sehr präzise bedienten und viel von Dynamik verstehen. Immer wieder woben sie auch russische Folklore ein, dazwischen Geknüppel, Gebrüll, Groove. Das Publikum brauchte eine gewisse Eingewöhnungszeit, aber als ich nach einer Futter-Auszeit wieder aufs Gelände stiefelte, waren doch große Teile der Zuschauerschaft in Bewegung.
Ha, die SAMBASTARDS hatten einen mir nicht Unbekannten zum Bandleader und „Dirigenten“, stand vor den Trommlern doch der feixende Peter Suchy, der Ex-A.L.D.I.-Trommler! War schon lustig dem Gekloppe der Bande zuzugucken und zu hören, gerade weil Peter eine Grimasse nach der anderen zog und seine Truppe in so einige Taktschweinereien leitete. Ewig konnte ich mir das allerdings nicht geben, das viele Getrommel kann einen auch ganz wuschelig machen.
Es war eh Zeit für die Hauptbühne, als nächstes war wieder eine Kieler (bzw. Schönberger) Band angesagt, TEQUILA AND THE SUNRISE GANG. Auch hier wieder eine große Menge an Zuhörern, sehr schön, dass die Leute gerade an den Kieler Bands derart viel Interesse zeigen. Jo, die Band spielte im weitesten Sinne Reggae. Kann ich nicht viel zusagen, war aber sicher gut gemacht, den Leuten gefiel es offenbar sehr und man konnte sich gut dazu in die Sonne fläzen.
Danach bekam ich ein paar Lieder von BODO mit, den ich schon mal auf dem letztjährigen Höhnie-Open-Air gesehen hatte. Das ist eine Art Liedermacher mit sehr geilen verschrobenen Texten. So sinnierte er in einem Lied über das Schicksal eines „vertrockneten Froschs auf der Straße“ und überzeugte durch seine ungekünstelte Art. BODO kommt aus Schleswig und die vielen Schleswiger kannten die Texte zum Teil richtig gut auswendig und unterstützen den Freak durch inbrünstiges Mitschmettern, während andere wie bei einer Märchenstunde vor BODO auf dem Boden saßen und andächtig lauschten. Ist dieses Jahr auch aufm „Punk am Ring“ dabei.
Yeah, echt gespannt war ich jetzt auch die ROCKAWAY BEACH BOYS, die ich aufgrund nicht mehr nachzuvollziehender Umstände NOCH NIE live gesehen hatte. Voll geil fand ich ja schon mal, dass die vier nicht auf der großen Bühne spielen wollten und ihre Sache daher kurzerhand DAVOR aufbauten. Vorm Gig gab es kurz ’nen Schnappes und ab ging der RAMONES-Cover-Reigen. Binnen Kürze verschwand die Band hinter einem pogenden Mob und in einer großen Dreckswolke. With Full Force in klein sozusagen. Mann, was hat das für einen Spaß gemacht! Der Sänger war stimmlich ultranah an olle Joey dran, perfekt imitierte man den RAMONES-Style und hängte einen Song an den nächsten, blökte nur kurz ein paar Anzähler ins Mikro. Die wichtigen Security-Typen betrachten das Treiben, als würden sie gerade dem Erstkontakt Menschen – Aliens beiwohnen, griffen aber nicht störend ein. Man surfte, pogte, spritzte mit Bier und grölte mit, bis das essentielle Werk der RAMONES dargeboten war und die Band zugabenlos wieder verschwand.
Großes Hallo auch bei SKORBUT am Tresen, die sich nicht nur in Piratenklamotten geworfen hatten, auf die Rock’n’Rolf neidisch gewesen wäre, sondern sich auch ausschließlich maritim-asozialem Liedgut hingaben. Sprich es wurden Seemannslieder verpunkt, was bei DIESEM Publikum natürlich hervorragend ankam. Ick heff mol 'nen Hamburger Fähemaster sehen...
Aber weiter, immer weiter. Nun standen die NITROMINDS auf dem Programm, die Band, welche die Platten von den CREETINS und TYPHOON MOTOR DUDES in Brasilien veröffentlicht hat. Begeisterung! Diese Band verband Hardcore und melodiebetonteren Punk auf sehr abwechslungsreiche Art und klang dabei nie zu zahnlos oder gar poppig. Ich hatte schon viel Gutes über die Band gehört, war nun aber doch überrascht, wie vielseitig die Brasilianer klangen. Viel war vom neuesten Longplayer „Start Your Own Revolution“, den man sich wohl mal zulegen sollte. Einige Songs gingen auf Anhieb in die Beine und ins Gehör, zum Beispiel blieb mir der Titelsong erwähnten Albums noch lange im Kopp kleben. Der Platz vor der Bühne war zuerst noch nicht so gut gefüllt, da viele wohl erst mal eine Auszeit brauchten, aber nach und nach füllte es sich und irgendwann ging gut der Ratz ab. Ständig trieb der Drummer die Band an, kloppte auf sein Set ein, als hätte er VIER Arme und irgendwann sprang die Energie der Band aufs Publikum über. Die hätten mal direkt vor SICK OF IT ALL spielen sollen, da wäre ihnen noch mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden.
Mittlerweile war die Tageshitze geschwunden, aber bei den D-SAILORS (aus Köln?) herrschte trotzdem Sauna-Action. Man könnte von so typischem Fat Wreck-Sound sprechen, aber diese Jungs hatten ordentlich Feuer unterm Arsch und versprühten amtlich Power. Die meisten Songs waren Uptempo-Melodic-Punk-Dinger (habe nur einen Teil sehen können), aber plötzlich wurde sogar mal ’nen Saxophon ausgepackt und einen Gang runtergeschaltet. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, waren die auch schon mehrfach mit den NITROMINDS unterwegs und auch schon in Brasilien auf Tour.
Eine Mischung aus Punk, Glam und Rock’n’Roll kündigte sich mit den TRACEELORDS an, was ja nicht schlecht sein muss. Der Platz vor der Bühne wurde nun auch zunehmend voller, der Mob war wohl schon heiß auf SICK OF IT ALL. Am Anfang war die Stimmung gar nicht so schlecht, aber das arrogante und dämliche Auftreten des Sängers/Gitarristen schaffte mit der Zeit eine zusehends stärker werdende negative Atmosphäre. Erst leistete er sich „nur“ bescheuerte abgelutschte Rockstarsprüche wie „Ich habe hier heute so viele hübsche Mädchen gesehen, die sollen jetzt mal nach vorne kommen“, als aber erste Unmutsbekunden laut wurden, reagierte er mit beleidigenden Äußerungen darauf („Wo ist denn der hässliche Typ, der mir eben den Stinkefinger gezeigt hat?“), was die Anzahl der Stinkefinger natürlich noch erhöhte. Und in die Rubrik „geht GAR NICHT“ fielen dann Ansagen wie „der nächste Song handelt vom Vögeln. Ihr könnt dazu tanzen oder euch nachher von mir in den Arsch ficken lassen und ’Mach es mir härter, großer Fickmeister’ rufen“. Völlig indiskutabel, und langsam geriet die Menge in eine dermaßen krasse Antipathie, wie ich es selten auf ’nem Konzert erlebt habe. Das war schon richtiger Hass. Teer und Federn wurden bereits rangeholt und nicht wenige schrien die Band jetzt in jeder Pause nieder. Selbst eine MOTÖRHEAD-Coverversion von „Ace Of Spades“ konnte da nicht mehr viel reißen. Interessant, wie sich eine Band schlechte Stimmung selbst herbeireden kann!
Lustig auch, wie viele Gerüchte über SICK OF IT ALL rumgingen. Klar doch, jeder wusste etwas über die Band zu berichten, da er/sie ja „Bekannte“ aus der Wilwarin-Crew habe. SOIA hätten abgesagt, SOIA seien da, würden aber nicht spielen wollen, SOIA seien überhaupt Arschlöcher und wären nur am Meckern... Tatsache war, dass der Tourmanager einen straffen Ablauf forderte, weil SOIA am nächsten Morgen um 5.00 Uhr auf dem Flughafen sein mussten (und heute kamen sie direkt aus Madrid). Die Band war aber auf Anhieb vom Wilwarin-Gelände begeistert und als ich kurz vorm Gig mit ihnen schnackte, freuten sie sich darüber, dass es hier keine Absperrung gebe. Später konnte jeder sehen, dass das absolut ehrlich gemeint war, denn wer so locker mit einer ständigen Horde von Stagedivern umgeht, steht wirklich auf intensiven Kontakt mit dem Mob. Und was soll man sagen – der Gig war einfach wieder ein Hammer! Vom ersten Ton an rohe & positive Energie. Die Band war wirklich STÄNDIG in Bewegung und feuerte einen Sack voller HC-Kracher ab. Ich habe sie noch nie schwach gesehen, die geben echt immer 200 %. Nur war das heute irgendwie besonders geil, weil es eben „unser“ kleines Wilwarin war, das da gerade nach allen Regeln der Kunst in Grund und Boden gerockt wurde. Ich merkte irgendwann, dass ich echt NUR am Grinsen war. Wegen der unbändigen Spielfreude der Band, wegen der genialen Stimmung, die sich in einem wilden Pit entlud und wegen der wie immer sympathischen Ansagen von Lou. Der zählte Diver aus, die ZWISCHEN zwei Songs von der Bühne hüpften („What are you doing? You must have music!”), analysierte die Zusammensetzung des Publikums (“This is great! There are no barricades between different people – HC-punks and metalheads or whatever you call yourself stick together – every festival should be like this!”) und leitete den Mob zur wohl ersten Wall Of Death in der Geschichte des Wilwarin an. Trotz der vielen Gigs, die SOIA spielen, blieb viel Raum für spontane Dialoge mit dem Publikum und auch die Setlist war eine andere als auf der letzten Tour. So kramte man „Ratpack“, „Just Look Around“ oder sogar “Locomotive” (Grüße an Gülle und Hannes...) hervor, bis es irgendwann hieß „Sorry, that’s all we know“. Vor den allerletzten Zugaben hatte der Tourmanager sogar schon mit dem Abbau begonnen, doch SOIA hatten immer noch Bock und scheuchten ihn wieder auf die Bühne, um das rückgängig zu machen, he he. Ja, danach gab es eigentlich Begeisterung allerorten, ich sprach auch mit Leuten, die Hardcore bisher ausschließlich als Bezeichnung für eine gewisse Sorte von Filmen gehalten hatten, nun aber auch vom Spielwitz der Band begeistert waren.
Ein schöner Abschluss eines schönen Festivals! Boller musste die Band noch zum Flughafen fahren und beschwor uns, danach noch ordentlich mit ihm zu feiern. Doch bei seiner Rückkehr begrüßte ihn nur lautes Schnarchen – nach 1 – 2 Absacker-Bierchen war allgemeines Schlummern angesagt....
Am nächsten Tag gab es allerdings für viele BesucherInnen noch ein unerfreuliches Festivalende: Die Bullen griffen knallhart zu, führten auch bei Leuten, die offensichtlich unter der Promille-Grenze waren, THC-Untersuchungen durch und so einige mussten den Nachhauseweg per pedes antreten oder wurden gleich mit nach Neumünster genommen...
Ansonsten: Onward to Wilwarin 2006!


- Beitrag von: Philipp

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