SUNN O))) & PUCE MARY / 03.03.2019 - Hamburg, Kampnagel

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Letztes Jahr Halloween schminkte ich mich wie ein Black-Metal-Alleinunterhalter, setzte die Sonnenbrille auf und zog mir meinen leider nur dunkelblauen Bademantel an. In die eine Tasche den Ipod, in die andere die Bose-Box, Kabel dazwischen, und dann flanierten meine gespenstisch zurechtgemachten Kinder und ich, eingehüllt in eine Wolke aus Sound, zu „Hell-O)))-Ween“ von SUNNO)))s „White 2“ [2004] durchs Environment, Schokolade und sonstige Süßigkeiten einsackend. Die jungen Herrschaften amüsierten sich über „…Papas Brumm-Musik...“, die älteren hielten es vielleicht für das kurzschlussbedingt ohnehin daueranwesende Grundgeräusch in ihren Köpfen oder nahmen es erst gar nicht wahr. Sollte mir recht sein. Ich muss zwar nicht unbedingt immer allein sein mit dem Witz, aber wenn es sich so ergibt, habe ich auch nichts dagegen.

SUNN O))) sind die Zuendedenkung von Doom. Jenseits ihrer minutenlang vibrierend in der Halle schwebenden Powerchord-Zeppeline kann nichts mehr kommen ausser Verstärkerrauschen oder Stille. Brächten sie ein Album mit Verstärkerrauschen raus, würde ich mir das wahrscheinlich kaufen. Und nach einigen Jahren Kenne blicke ich mitunter staunend auf meine SUNNO)))-Alben. Sie zählen ein gutes halbes Dutzend, was der ursprünglichen Einschätzung „Kennste ein´, kennste alle“ zu widersprechen scheint. Tatsächlich ist das Oevre dieser Band nicht weniger abwechslungsreich als das von Iron Maiden oder so. Die Kompaktheit und Beschränktheit aufs Wesentliche des derzeit noch aktuellen Studio-Albums „Kannon“ [2015] ist ein ganz anderer Schnack als die sehr empfehlenswerte „Monoliths & Dimensions“ (ein Titel, der den ganzen Approach der Band eigentlich ganz knackig umreisst) mit all ihrem Chor- und Orchesteraufwand.

 

Trotzdem flutscht die Einsortierung von SUNNO))) in die gängigen Kategorien nicht so richtig, und die Radikalität ihrer Methode, die grauenvolle Erhabenheit ihres Daseins scheint sie in den Rang einer Band zu rücken, die eine Meta-Aussage ÜBER Musik macht. Fängt man erstmal an, sich ihnen so zu nähern, wird es schnell kunstkackig, und dazu sind sie dann wieder zu metal und zu sehr Entertainment.

 

SUNN

 

 „Alles Bullenkot“, grunzen Stephen O´Malley und Greg Anderson und ziehen sich ihre Mönchskapuzen zurecht, „wir getten einfach high und cranken unsere Amps up, du Fuzzi“.

 

Apropos „Mönchskapuzen“: Gregorian? Diese Kuttenträger, die zu beliebigem Geschmacksopium einmal durch das „Church Reverb“-Preset gejagt werden und „Haaaalleluja“ oder „Losing My Religion“ singen? Rondo Veneziano fürs 21. Jahrhundert? An Musiksubstitute dieser Art werde ich nachher, während der Show, ein paar Mal denken und schmunzeln müssen. SUNNO))) sind GREGORIAN für Menschen, die nichts mehr vom Leben erwarten. Bzw. nein, ich korrigiere mich: Für Menschen die, noch WAS vom Leben erwarten.

 

Apropos „schmunzeln“: Da ist Humor im SUNNO)))-Konzept. Er mag ein wenig nerdig sein, aber ich kann drüber lachen. Beispielsweise erstehe ich am Merch eine LP mit Übungsraumaufnahmen. Da ist der gleiche Fön drauf wie auf allen anderen SUNNO)))-Platten, nur eben in Kasi-Qualität. Lustig, oder? Ho, ho, ho. Gut ist auch, wie sie zur Zugabe wieder auf die Bühne schreiten und einfach weiterdröhnen, allerdings mit dem Unterschied, dass sie jetzt nur noch EINEN EINZIGEN AKKORD stehen und rummodulieren lassen. Da tritt der oben angeschwafelte Statement-Charakter der Musik so recht in den Vordergrund, und es erinnert an den Chemielehrer, der in der letzten Stunde vor den Weihnachtsferien zum Amüsement der Schülerinnen und Schüler seine eigenen Fürze anzündet. Na gut, genau so ist es nicht, aber mir ist kein weniger einbeiniger Vergleich eingefallen.

 

SUNN

 

Aber ich will nicht zu weit vorgreifen: Erstmal macht die dänische Musikerin PUCE MARY, bürgerlich Frederikke Hoffmeier, den Support. Sie bittet sich gedämpfteres Licht aus, was dem dräuenden bis destruktiven Grundton ihrer Kunst zweifellos zuträglich ist. Sie steht an einem Tisch voller verkabeltem Gear. Sie dreht mal hier, fadet mal dort, hört, gleicht ab, schickt mit dem Korg-Synthesizer einen neuen Akkord ins Strippenlabyrinth und wird während der schätzungsweise 40 Minuten, die ihr Set dauert, weitgehend eins mit ihrer Musik. Manchmal wiegt sie sich im kaum hörbaren Puls, der selbst die geräuschhaftesten Passagen substrukturiert, dann beugt sie sich wieder wie in Trance über ihre Burg. Sie spielt einen durchgehenden Track. Um beurteilen zu können, wieviel Improvisation in ihm steckt, müsste ich in eine von Frau Hoffmeiers zahlreich erschienenen Platten reinhören, was ich bald tun werde. Trotz aller Pausenlosigkeit bleibt die Sache kurzweilig, weil halt ständig was Neues passiert. Neue Sounds, neue Filter, neue Frequenzen, ewige Metamorphose. Ich hätte an einigen Stellen nichts gegen ein Verweilen, aber damit würde sich Puce Mary vielleicht auch zu sehr dem Hauptact annähern. Der übergeordnete Spannungsbogen beginnt und endet mit unheilvollem Georgel und besteht im Mittelteil abschnittweise nur noch aus kaltem, digitalen KRCHCH. Erinnert an frühe CLUSTER und THROBBING GRISTLE, sehr inspirierender Lärm also. Gefällt mir!

 

SUNN

 

SUNNO)))s 20 Meter breite und meticulously drapierte Verstärkerskyline ist eine wall of sound, bevor man was hört. Ich würde schon 5,-€ Eintritt zahlen, nur um mir diese wundervollen Türme erlesenster Fabrikate nur anzuschauen. Der ästhetische Mehrwert schöner Musikinstrumente schlägt den eines jeden Mobiliars um Längen. Leider ist es mit der Augenweide irgendwann vorbei, denn das K6, dieser relativ grosse und nicht ganz volle Saal im Kampnagel-Komplex wird für alt und neu mit Trockeneisnebel geflutet. Ich bin schon mit einem leicht unbehaglichen Gefühl hierhergekommen, und so althergebracht das ganze Rumgedampfe auch sein mag, in Anbetracht dessen, was auf mich zukommt, schindet es Eindruck. Ein pink und blau leuchtender, halbtransparenter Vorhang, in dessen Gewaber sich 5 Gestalten bewegen.

 

Und dann geht es los. Das Konzert ist AN. Es ist mörderisch LAUT. Fragen nach gerade gespielten Songs sind OHNE BEDEUTUNG. Mal so richtig den Wind VON VORNE…………..kriegen………………Dies………ist……….ein…………… AKKORD …………………………………………………………………………………………………...…………………………………………………..………..Und………….dies…………...ist...…NOCH……………..EINER. Wollte man einer ausserirdischen Lebensform die Bedeutung des Begriffes „Sustain“ erläutern, müsste man die arme Spezies hier mit hernehmen. Hinterher könnte man beim Beantragen des Schwerbehindertenausweises wegen totaler Taubheit hilfreich sein und mithin gleich noch ein gutes Werk tun. SUNN O))) lassen die Quinten grollen, viele Sekunden lang, quälend lang, bis die Schlaghände der Gitarristen in der Luft stehen, so nach dem Motto: „Jo, bin fertig, nächster Akkord kann kommen!“ Dann senkt sich Greg Andersons (oder Stephen O´Malleys, ich weiss nicht, wer wer ist) Arm Richtung Gitarre und führt den Harmoniewechsel an, leitet ihn ein. Da man das ohne rhythmische Orientierung kaum synchron hinbekommt, dauert es jedes Mal etwa eine Sekunde, bis der Wechsel vollzogen ist und die Anderen nachgezogen haben. Und diese eine Sekunde klingt wie das Schaltgeräusch im Getriebe einer gigantischen, zyklopischen, den Himmel verdunkelnden und sich mehrere Meilen breit durch den Erdmantel fräsenden, Eisenträger und Ölrotz spuckenden Wolkenkratzpanzermaschinenruinenfräse.

 

SUNN

 

Ich fühle mich gefordert, und das soll ja gut sein. Ich streife mir die Sweaterkapuze über den Kopf und stehe mit verschränkten Armen vor der Bühne. So lässt es sich eine Weile aushalten. Irgendwann bekomme ich Seitenstechen.

 

Im Wesentlichen ist es das. „Maximum volume yields maximum results“ steht auf jedem SUNNO)))-Albumcover, zumindest auf allen, die ich besitze. „Maximum duration“ sollte man vielleicht hinzufügen, denn das hier macht nicht den Anschein, als wolle es schnell vorbeigehen.

 

Und die results?

 

  • Verlust des Zeitgefühls, wie es Philipp in seinem Erfahrungsbericht beschrieb (Übrigens, hingelegt hat sich keine/r!);

 

  • Sensueller Overkill;

 

  • Genauer gesagt: Die optische Wahrnehmung wird von der akustischen überlagert, ja geradezu an den Rand gedrängt, weggequetscht und zwar stärker als bei konventionelleren Konzerten, die ja durchaus auch mal sehr laut sein können. Ich bin gezwungenermassen sowas von OHR, dass ich mehrere Male merke, wie ich zwar zur Bühne aber eigentlich ins Leere starre. Das sind die 5-6 Momente, in denen ich denke: „Ah, der Nebel hat sich verteilt, man kann die Bühne sehen, Zeit für´n Foto…“ – und bis ich das Handy aus der Tasche gefummelt und entsichert habe, wachsen längst wieder wabernde Säulen gen Hallendach.

 

  • Ein masochistisches Erleben; man muss da jetzt durch, auch wenn es nur anteilig Spass macht, was ohnehin ein seltsames Attribut für einen SUNNO)))-Auftritt ist.

 

SUNN

 

Irgendwann drosseln sie die Gitarren sukzessive und nicht ohne Mühe, was sich anhört, als würde einer brüllenden Bestie ein Maulkorb angelegt und als würde sie dann von einer samtweichen Riesenhand hinter den polofeldgrossen Lauschlappen gekrault werden, bis sie nur noch ein somnambules Murmeln von sich gibt. Vielleicht sind damit die auf dem Tourplakat angegebenen „Multiple gains stages“ gemeint. Jedenfalls ist das der Augenblick, in dem der auf 12 Uhr stehende, langbärtige Keyboarder (einer von zweien) zur Posaune greift und über dem ganzen, zunehmend nach mühsamer Bändigung klingenden Gemaunze Miles-Davis-artige Tonfolgen spielt. Irritierend schön. Erlösend. Wie das Auge des Armageddons. Wie eine Epiphanie am Ende eines leider trotzdem tödlich endenden Leidensweges.

 

Denn Pustekuchen. Natürlich. Die Gitarren kommen zurück, die Bestie hat den Trick geschnallt, den Maulkorb und den kraulenden Riesen gefressen (was kaum auffiel, vielleicht wegen des Nebels), und diese Sekunden, in denen das unfassbare Volumen zurückkehrt, sie sind grausam, aber unerwartet sind sie nicht. Der bärtige Mann stellt seine Posaune weg und nimmt einen langanhaltenden Schluck aus einer Weinpulle, die er sich mit einem der Gitarristen teilt. Kein Problem. Bei einer durchschnittlichen Schlagzahl von, ich schätze mal 4 cpm (chords per minute) kann man sich auch mal mitten im Riff Einen genehmigen.

 

SUNN

 

Kommentare   

+1 #2 Hacho 2019-03-17 10:35
Jo, voll das Enviroment.
Profi Tip: Französisch aussprechen.
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0 #1 Matt 2019-03-12 14:10
Wow, episches Werk, Respekt!
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